Schaffen wir zwei, drei, viele Mekkas!

Es gibt journalistische Floskeln, die sind so totgeritten, dass man nicht mal mehr Leim aus ihnen kochen könnte – zugleich aber auch so… unverzichtbar? Unverwüstlich? Unsterblich? Eine mediale Pilgerreise ins Oldenburgische.

Die NWZ hat "Mekka" gesagt. Montage: mno / OL

Die NWZ hat “Mekka” gesagt. Montage: mno / OL

Mekka, die heiligste Stadt des Islam. Im heutigen Saudi-Arabien gelegen, wurde hier der Prophet Mohammed geboren und im Jahr 622 aus ihr verjagt, später wurde die Stadt von ihm unterworfen und zum Mittelpunkt einer Weltreligion; eine Stadt, in die sich jährlich rund zwei Millionen Pilger aufmachen, um ihre vornehmste religiöse Pflicht – die Haddsch, auf die jeder gläubige Muslim einmal in seinem Leben gehen soll – zu erfüllen. Schulwissen, klar soweit. Eine einzigartiger Ort, der seinesgleichen gar nicht erst zu suchen braucht, sollte man meinen – außer natürlich, Zeitungsredakteure wollen mit wenigen Buchstaben klarmachen, dass eine Veranstaltung in ihrem jeweiligen Ort so überaus bedeutsam ist, dass normale Superlative nicht mehr ausreichen. Dann ist Mekka offenbar überall: Nämlich immer dort, wo idealerweise mehr als ein paar Leute zusammenkommen, weil sie ein gemeinsames Interesse an Irgendetwas, und sei es auch noch so abseitig, verbindet.

So verortet die Nordwest-Zeitung Mekka unter anderem in Kopenhagen (“Mekka für Gourmets“), Monza (“Highspeed-Mekka“), Oberammergau (“Mekka der deutschen Herrgottsschnitzer“) oder auch im lauschigen “Full Metal Village” Wacken (“Heavy-Metal-Mekka“). Mitunter kann sogar ein ganzes Land Mekka sein, wie etwa die ehemalige Tschechoslowakei, ein “Mekka der DDR-Jugend” nämlich (dass hier kommunistische Regimes mit einer religiösen Floskel umschrieben werden, sei nur am Rande erwähnt). Das Blatt befindet sich mit der Mekkaisierung übrigens in bester Gesellschaft: Die  Presseagentur sid – und mit ihr renommierte Blätter wie die Zeit oder die Süddeutsche, die den Artikel in ihre Onlineauftritte copyandpasteten – verortet Mekka zum Beispiel im finnischen Lahti (“Wintersportmekka“). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung verlegt die heilige Stadt für eine Woche ins oberbayrische Lindau (“Mekka der wichtigsten Ökonomen der Welt“), Spiegel Online lokalisiert sie in Sindelfingen (“Maybach-Mekka für Millionäre“) und die tageszeitung in Wunsiedel (“Mekka für Nationalsozialisten“). Allein: In diesen Medien muss man die Mekkas mit der Lupe suchen, und völlig an den Haaren herbeigezogen erscheint die Redewendung dort auch nicht immer.

Die Stärke der NWZ indes liegt bekanntlich ohnehin im Regionalen, und was den großen Zeitungen recht ist, ist ihr augenscheinlich nur billig, weshalb sie auch noch vielen, vielen, viiieeelen Orten im Oldenburgischen religiöse Weihen verleiht. So gibt es für die Zeitung auch je ein Mekka in Emstek (“Archäologisches Mekka“), Lemwerder (“Mekka für Kunstfreunde“), Thüle (“Mekka für Radfahrer“), Berne (“Mekka für orientalischen Tanz“), Wangerooge (“Mekka der Cornwall-Fans“), Hollen (“Mekka für Trecker-Fans“), Neuenlande (“Mekka der Tractor-Pulling-Szene“), Molbergen (“Billard-Mekka“), Rostrup (“Mekka für Familien“), Löningen (“Läufer-Mekka“) – nicht zu verwechseln mit Oldenburg (“Mekka für Läufer“) oder Bremen (“Lauf-Mekka“) –, Wilhelmshaven (“Maritimes Mekka“), Ganderkesee (“Mekka der Modellflieger“) oder Scharrel (“Mekka der Saterfriesen“), das übrigens auch “Mekka der Rettungskräfte” ist.

Nicht in die Überschrift geschafft haben es die mekkahaften Qualitäten von Zetel (“Mekka der Boßelsportler“), Jever (“Mekka der Jazzfreunde“), Nordenham (“Vokalisten-Mekka“), Bockhorn (“Mekka für Händler und Feilscher“), Bösel (“Mekka der Gartenfreunde“), Carolinensiel (“Mekka der Fans des britischen Königshauses“), Obenstrohe (“Party-Mekka“), Neusüdende (“Mekka der deutschen Countrymusikszene“), Querenstede (“Mekka des Modellbaus“, das sich den Titel aber wohl mit Hamburg teilen muss, sowie “Mekka für Modelleisenbahner“); erneut Molbergen, das auch ein “Mekka der Leichtathletik” ist und schon wieder Löningen, diesmal als “Mekka des Vielseitigkeitssports“. Ob Wildeshausen stolz darauf sein kann, als “Mekka der Sonderangebote” zu gelten, darf bezweifelt werden.

Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Schwierig wird die Orientierung für Zweiradpilger: Neben dem “Motorrad-Mekka” in Dortmund finden sie auch offenbar jedes Jahr eines in Augustfehn (“Biker-Mekka“, “Mekka der Biker” oder “Mekka aller Motorradfahrer“). Und Bremen, das zwar nicht zum Oldenburger Land gehört, aber immer mal wieder im Regionalteil Erwähnung findet, ist zugleich “HipHop-Mekka” und “Mekka für die besten Newcomer-Bands aus dem Bereich Indie und Rock“. Wenn das mal nicht ins Auge geht, die Anhänger dieser beiden Musikstile haben ja nicht so furchtbar viel gemeinsam.

Für den Oldenburger Lokalteil von besonderem Interesse sind natürlich unsere unpaarhufigen Freunde aus der Familie der Equidae. Und hier hat der Pilger in spe gleich die Wahl zwischen Rastede (“Mekka für Pferdefreunde“), Altenoythe (“Mekka des Reitsports“) und Bettingbühren (“Mekka des Pferdereitsports“) oder auch – Vorsicht, Verwechslungsgefahr – Cloppenburg (“Mekka des Pferdesports“) oder Hooksiel (“Mekka für Freunde des geselligen und spannenden Pferdesports“).

So viele Mekkas – ob das gutgeht? Und vor allem: Heißt das, dass ein, sagen wir, neuseeländischer Rettungssanitäter einmal im Leben nach Scharrel reisen oder ein Leichtathletikstar wie Usain Bolt wenigstens einmal in Molbergen antreten muss? Man weiß es nicht, aber zumindest eines dürfte sicher sein: In Mekka, also dem Original auf der Arabischen Halbinsel, gibt es vermutlich deutlich weniger Bratwürste.

Edit September 2012: Durch den kürzlich vollzogenen Relaunch der Internetpräsenz der NWZ sind sämtliche vorher gesetzten Links auf nwzonline.de leider nicht mehr funktionstüchtig.