Is Left right?
Bei einer Kommunalwahl, das lässt sich kaum von der Hand weisen, wird immer auch ein bisschen über die Bundespolitik mit abgestimmt. Je nach Wahlergebnis nutzen Parteien diesen Umstand als Erklärung für die Niederlage oder als Bestätigung für den Sieg. Warum also nicht schon im Kommunalwahlkampf mit der großen Politik anfangen? Vorhang auf für Oskar Lafontaine.
Freitag, 16.30 Uhr, Julius-Mosen-Platz, der erste halbwegs trockene Tag nach gefühlt zwanzig Wochen. Oskar Lafontaine, trotz seines Rückzugs von der bundespolitischen Bühne wohl immer noch einer der bekanntesten politischen Köpfe im Land – und einer der wenigen Spitzenpolitiker, die sich im niedersächsischen Kommunalwahlkampf auf den Weg nach Oldenburg machen, Jürgen Trittin kommt noch, aber das war es dann auch so ziemlich – verspätet sich, sein Flugzeug ist mit Verzögerung in Hamburg gelandet und die A1 ist über weite Strecken eine Baustelle. Nachdem sich die Ratskandidaten der Linken vorgestellt haben und den rund 300 Besuchern die Wartezeit mit ein wenig leichter Musik schmackhaft gemacht wurde, ist es um halb sechs soweit: Lafontaine betritt die Bühne.
„Geld regiert die Welt“, „Minderheit bereichert sich“, „Banken an die Kette legen“ – man hat beinahe das Gefühl, die Linke könnte ihren Wahlkampf allein mit dem Geld bezahlen, das hier ins Phrasenschwein geworfen wird. Alles schon mal gehört, solche Sätze gehören spätestens seit der Finanzkrise zum Standardrepertoire von politischen Reden, allerdings nicht nur der Linkspartei. Die Floskelhaftigkeit ändert auch nichts daran, dass die von Lafontaine geäußerte Kritik an der Politik in Berlin beim Publikum auf Zustimmung stößt. Es ist schließlich kein Dampfplauderer aus der Eckkneipe, der sie hier ausspricht; es handelt sich immerhin um einen Ex-Bundesfinanzminister, dem seit zwölfeinhalb Jahren hinterhergetragen wird, dass er unter Kanzler Schröder den Bettel hingeschmissen hat, als der „von einer wirtschaftsfeindlichen Politik nichts wissen“ wollte. Um den einstmals „gefährlichsten Mann Europas“, wie ein britisches Revolverblatt glauben machen wollte.
Der Beginn einer wunderbaren…
Gefährlich oder nicht, Lafontaine geht gleich in die Vollen. „Die Kanzlerin sagt: ‚Wir brauchen einen Rettungsschirm von ein paar Hundert Milliarden’ – und das Parlament diskutiert das gar nicht mehr“, wettert er ins Mikrofon. „Gesetze werden nicht mehr von den Abgeordneten gemacht, sondern von Kanzleien, die von den Banken bezahlt werden – und die Parteien, die von den Banken Spenden bekommen, nicken alles ab.“ Applaus. Die Linke sei übrigens „die einzige Partei, die keine Spenden von den Banken bekommt“ – das glaubt man ihm angesichts dieser Aussagen sofort. Lafontaine wirkt in seiner Gestik wie ein Dirigent, er spricht viel mit den Armen, wenn er über die Banken, die anderen Parteien und das Wirtschaftssystem an sich herzieht. Aber dirigieren muss er gar nicht, die Zuhörer klatschen auch so. Es hat ein bisschen was von einem Popkonzert, mit einer Mischung aus beliebten alten Hits und Songs vom neuesten Album.
Die Genugtuung, mit der Lafontaine etwa auf Charles Moore zu sprechen kommt, ist nicht zu überhören. Moore, ehemaliger Chefredakteur der erzkonservativen britischen Zeitung „Daily Telegraph“, hatte sich in einem Aufsatz angesichts der Dauerkrise gefragt, ob die Linke – gemeint war natürlich nicht die deutsche Partei, sondern die politische Strömung – nicht „die ganze Zeit recht gehabt“ habe und kommt zu dem Schluss: Ja, sie hat, in weiten Teilen zumindest. F.A.Z.-Herausgeber Frank Schirrmacher griff diesen Gedanken auf, in einem Blatt, das weitaus seriöser ist als der Telegraph, aber des übermäßigen Fraternisierens mit sozialistischen Ideen ebenso unverdächtig sein dürfte. Aus Lafontaines Mund klingt es, als würde der Linken letztlich „die Geschichte Recht geben“, um ein Wort George W. Bushs zu bemühen, das dieser wiederum ausgerechnet Fidel Castro geklaut hat.
Mein Keynes, dein Keynes
Er verweist bei dieser Gelegenheit auch auf John Maynard Keynes, einen der ganz großen Namen der Ökonomiegeschichte, der – obwohl durch und durch ein Befürworter des Kapitalismus – dereinst eine staatliche Regulierung der Wirtschaft empfohlen hatte und auf den sich lustigerweise auch die FDP bezogen hat, um ihre Mövenpick-Steuer zu rechtfertigen. Man müsse, fordert Lafontaine, „die Staaten von den sogenannten Finanzmärkten abkoppeln“, Finanzhilfen mithin nicht mehr über privatwirtschaftliche Geldinstitute laufen lassen, die dann an den überhöhten Zinsen der Schuldnerstaaten verdienen. Theoretisch klingender Tobak, aber das Reizwort Griechenland zieht – auch im Oldenburger Kommunalwahlkampf und offenbar aus jedem Blickwinkel.
„Die Konservativen haben sich geirrt, und Sie können ihnen das zeigen – mit dem Stimmzettel.“ Nur: Was können vier oder, wenn die Partei an 9/11 zulegen kann, auch fünf oder sechs Oldenburger Ratsherren und –frauen an Eurobonds, Rettungsschirmen und Casinokapitalismus ändern? Wohl nichts, aber: „Nur, wenn wir stärker werden, werden die wach.“ Die, das sind die anderen Parteien. Es klänge nach einem simplen Aufruf zur Protestwahl, wenn sich dieses Prinzip des, nun, politischen Aufwachens nicht schon für das eine oder andere Mal nachzeichnen ließe, etwa beim Thema Mindestlohn, der erst dann auf der großen parlamentarischen Agenda diskutiert wurde, nachdem die Linkspartei ihre entsprechende Forderung in Stimmen umgemünzt hatten. Und den SPD und Grüne im Übrigen „zwischen 2005 und 2009 gemeinsam mit den Linken jederzeit hätten durchsetzen können“. Haben sie aber nicht.
Ach ja, die Kommunen
Die Aufgabe linker Abgeordneter auf kommunaler Ebene – darauf kommt Lafontaine nach Abschluss seiner Philippika gegen das Bankensystem – sei dann auch eine ganz andere: Ohne sie gäbe es „nicht die bescheidensten sozialen Ansätze“. Bescheidene Ansätze seien etwa verbilligte Fahrkarten für Geringverdiener, vergünstigte Eintrittskarten, Zugang zu kulturellen Veranstaltungen, Schulspeisung, Mieten. Oder etwas, das linke Ratsfraktionen im einen oder anderen Gemeinderat durchgesetzt hätten: Der Verzicht darauf, 1-Euro-Jobs anzubieten, ein Arbeitsmarktinstrument, dass für die Betroffenen „entwürdigend“ sei. Hartz IV wirklich abzuschaffen, dies ein Evergreen aus dem Linkspartei-Repertoire, ist natürlich eine bundespolitische Frage – aber auch Bundespolitik fängt im Kleinen an, lautet die Botschaft. Denn Hartz IV führe über die Zumutbarkeitsregelung zur stetigen Absenkung des Lohnniveaus, und darin liege, bezogen auf die Handelsbilanz, die Ursache für die Euro-Krise, sagt Lafontaine und kehrt damit thematisch, nach einem etwa siebenminütigen Ausflug in die Niederungen der Kommunalpolitik, wieder zurück auf die große Bühne: „Wir können kein Europa bauen, in dem sich ein Land auf Kosten der anderen bereichert.“
Applaus. Lafontaine geißelt zum Abschluss noch die Außenpolitik und die Beteiligung Deutschlands an Militäreinsätzen, unter Berufung auf Willy Brandt. Noch mehr Applaus. Ein Zuschauer ruft, mehr aus Spaß, „Zugabe!“ Und wie bei jedem nicht völlig missglückten Popkonzert gibt es auch eine. Ein Fan Besucher hatte Lafontaine ein selbstgebasteltes „Victory“-Zeichen überreicht. Der Politiker gab sich leidlich erfreut, verwies aber darauf, dass ihn das immer an Josef Ackermann erinnere. Ihm, Ackermann, sollte man aber dankbar sein: Der Umstand, dass dessen 60. Geburtstag im Kanzleramt gefeiert wurde, habe doch viel zur Offenlegung und Transparenz der politischen Zusammenhänge im Land beigetragen.
Und zumindest solche Verquickungen dürften etwas sein, das im Bund wie auch in der kleinsten Gemeinde ganz ähnlich läuft.