Der Nahe Osten im Nordwesten
Der in Syrien geborene Archäologe Mamoun Fansa hat das von ihm geleitete Oldenburger Landesmuseum Natur und Mensch vor allem durch seine Ausstellungsreihe der „Orient-Okzident-Dialoge“ überregional bekannt gemacht. Und mitten in diesem Dialog: Er selbst
Eine Ausstellung über Lawrence von Arabien – ja, so etwas würde er wirklich gerne einmal machen, antwortete Mamoun Fansa 2006 am Rande seiner ersten großen Orientausstellung auf die Frage, ob er denn weitere Projekte zu ähnlichen Themen plane. Viereinhalb Jahre später verwirklicht der Direktor des Landesmuseums Natur und Mensch diese Idee mit einer Sonderschau über den legendären Abenteurer, Aufrührer und Agenten – und verabschiedet sich damit vorab von dem Haus, das wie kaum ein anderes die Handschrift seines Leiters trägt und das er weit über den Nordwesten hinaus bekannt gemacht hat. Im Herbst, nach einer weiteren und eher naturwissenschaftlich geprägten Ausstellung, geht der gebürtige Syrer in den Ruhestand – und hinterlässt nicht nur in der regionalen Museumslandschaft eine nicht geringe Lücke.
Denn „Lawrence von Arabien – Genese eines Mythos“ (noch bis 27. März) ist mehr als nur eine Sonderausstellung. Sie bildet den Höhe- und Schlusspunkt der deutschlandweit auf große Aufmerksamkeit gestoßenen Ausstellungsreihe der „Orient-Okzident-Dialoge“, die im Frühjahr 2006 mit einer spektakulären, in Kooperation mit dem Landesmuseum für Vorgeschichte Halle und den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim entstandenen Mittelalterschau über Sultan Saladin begann. Es folgten Ausstellungen über den orientaffinen Stauferkaiser Friedrich II., über das kulturenübergreifende literarische Genre der Fabel, frühchristliche Kunst in Syrien oder auch die wissenschaftsgeschichtliche Schau „Ex Oriente Lux“.
Kulturelle Einbahnstraße
Die Figur des T.E. Lawrence als Abgesandten westlicher Großmächte bilde nicht nur chronologisch, sondern auch thematisch einen geeigneten Abschluss, sagt Fansa und stellt klar: „Ich rede immer vom Dialog, dabei war es eher ein Kontradialog.“ In den vorangegangenen Ausstellungen war es um den Kultur- und Wissenstransfer von Ost nach West gegangen: „Über 600 Jahre ein ziemlich einseitiger Dialog“, resümiert Fansa. Und was habe der Orient im Gegenzug zurückbekommen? „Kolonialismus, Wirtschaftsimperialismus, Unterdrückung“. Er sagt es ohne Bitterkeit oder Vorwürfe, sondern als simple Feststellung.
Lange vor den Integrationsdebatten sarrazinscher Prägung, die ihm heute schon mal anfeindende E-mails zu seinen Ausstellungsvorhaben einbringen, habe er einen „erheblichen Nachholbedarf“ im Bewusstsein über die Kulturbeziehungen zwischen islamischem Morgen- und christlichem Abendland ausgemacht. Trotz des erwähnten frühzeitigen Liebäugelns mit der Lawrence-Schau gab es für die Reihe aber keinen Masterplan; manche Ausstellungsthemen hätten sich erst durch andere ergeben – Friedrich II. etwa bot sich als Exponent auf europäischer Seite für die Fortsetzung zu Saladin an, und die Fabel-Ausstellung hatte ihren Ursprung in einem Handschriftenfund in der Bayerischen Staatsbibliothek, wo Fansa zur Friedrich-Ausstellung recherchierte. Mit jeder Sonderschau empfahl sich das Haus stärker als Top-Adresse für kulturhistorische Ausstellungen aus dem vorderasiatischen Raum – dass ausgerechnet in Oldenburg als erster und bislang einziger deutscher Stadt 2009 die vom Genfer Musée d’Art et d’Histoire erstellte und von der Unesco unterstützte Ausstellung archäologischer Schätze aus Gaza präsentiert werden konnte, war kein Zufall.
Versehentlich Archäologie
Im Gegensatz zum Werdegang des Museumsleiters, bei dem der Zufall keine unbedeutende Rolle gespielt habe, wie Fansa freimütig anmerkt. Archäologie sei jedenfalls kein Jugendtraum gewesen: Nach seinem Kunststudium in Hannover wollte der Sohn einer Aleppiner Händlerfamilie doch lieber, wie er sich ausdrückt, „etwas machen, womit man Geld verdienen kann“, aber mit Kunstgeschichte sollte es schon zu tun haben. Dann müsse er Architektur studieren, wurde ihm nahegelegt. „Wollte ich aber nicht. Und da habe ich mir gedacht, Archäologie ist ja so was wie ein Mittelding“, erzählt Fansa lächelnd: „Das war vielleicht etwas naiv.“ 1972 begann er sein Zweitstudium.
Die Kreuzfahrerburgen der Johanniter, die es schon Lawrence angetan hatten, die Ruinen von Palmyra oder das Weltkulturerbe seiner Geburtsstadt blieben dem angehenden Archäologen damals indes verwehrt: Nachdem er Syrien 1967, kurz nach dem Sechstagekrieg, mit gefälschten Papieren in Richtung Deutschland verlassen hatte – „Ich wollte nicht Soldat werden“ –, unterlag er einem Heimatverbot. Statt in den Wüstensand führte ihn eine Studienexkursion im zweiten Semester in die Moorlandschaft Nordwestniedersachsens, wo er seine spätere Oldenburger Wirkungsstätte, die damals noch „Staatliches Museum für Naturkunde und Vorgechichte“ hieß, kennenlernte und wo er sich in die örtlichen Großsteingräber verliebte.
Aber auch dann brachte erst ein weiterer Zufall Jahre später den promovierten Archäologen zurück nach Oldenburg, als ihm 1987, während seiner Tätigkeit im Institut für Denkmalpflege in Hannover, die Leitung der vorgeschichtlichen Abteilung in eben diesem Museum angeboten wurde. „Nach 10 Jahren praktischer Archäologie wollte ich sehen, wie es mit der musealen Vermittlung aussieht“, sagt Fansa in dem ihm eigenen lapidaren Tonfall. Weitere sieben Jahre später übernahm er die Leitung des Museums – und begann es gründlich umzukrempeln.
Altes Haus, neuer Besen
Das allgemein als „Naturkundemuseum“ bezeichnete und in einem klassizistischen Bau untergebrachte Museum war eine Bildungseinrichtung alter Schule, das mit wuchtigen Vitrinen, schwergewichtigen Schaukästen und Unmengen ausgestopfter Tiere bestückt war und im Wesentlichen die üblichen Bildungsbürger anzog, die regelmäßig „prüfen wollten, ob sie auch alles wissen“, sagt Fansa: „Ich wollte dem Haus einen anderen Sinn geben und neue Besuchergruppen ansprechen.“ Die Idee war, die Genese der Natur und die Einwirkung des Menschen auf sie als Symbiose darzustellen – „und zwar interdisziplinär zwischen Naturwissenschaft, Kulturgeschichte und Archäologie“.
Insgesamt neun Jahre dauerte die Neuausrichtung samt Umbaumaßnahmen. Seither präsentiert sich das Museum von Grund auf verändert: Der Besucher durchschreitet helle, offen gestaltete Räume und sieht – neben dem „weltweit vermutlich einzigen Schrank, der auf allen vier Seiten Schubladen hat“ – eine Dauerausstellung, die die Exponate in einem übergeordneten Kontext präsentiert. Die wohl bekanntesten Exponate etwa, die Moorleichen, liegen nicht mehr nur in Glassarkophagen – auf die früher, wie der Direktor erzählt, nicht selten sonntagvormittags Väter mit ihren Söhnen zielstrebig zugesteuert seien, um nach dreiminütiger Betrachtung wieder in Richtung häuslichen Mittagessens zu verschwinden – sondern eingebettet in einem Landschaftsschnitt. Nur ein Raum wurde mitsamt dem massiven Schaumobiliar inklusive abgedämpften Tageslicht im ursprünglichen Zustand belassen, um den Vorher-Nachher-Effekt zu verdeutlichen. „Ein Museum im Museum“, sagt Fansa. Er hofft, dass die auch künstlerisch von ihm mitentwickelte Neupräsentation der Dauerausstellung auch nach seinem Abschied noch ein paar Jährchen beibehalten wird: „Man ist ja doch ein bisschen eitel.“
Ende und Anfang
Sein noch nicht benannter Nachfolger wird in dieser Hinsicht kein leichtes Erbe antreten. Denn neben der aufwendigen Modernisierung haben nicht zuletzt die Orient-Okzident-Ausstellungen dazu beigetragen, die Besucherzahlen des in „Landesmuseum Natur und Mensch“ umbenannten Hauses in den vergangenen Jahren in die Höhe schnellen zu lassen – allein „Friedrich II.“ zog 42.000 Menschen an. Fansa ist es immer wieder gelungen, für diese Ausstellungen Exponate zu bekommen, die noch nie in Deutschland zu sehen waren. Wobei ihm seine syrische Herkunft anfangs allerdings nicht unbedingt geholfen habe, erinnert er sich – schließlich galt er ja als fahnenflüchtig. Mittlerweile stösst sein Einsatz jedoch auch im Nahen Osten auf Anerkennung: Fansa beriet ägyptische Ausstellungsmacher bei einer eigenen Saladin-Schau, hielt Seminare im Goethe-Institut in Damaskus und wurde in die Vereinigten Arabischen Emirate zum arabisch-deutschen Kulturdialog eingeladen – gewissermaßen die Fortsetzung des Themas der Ausstellungsreihe auf diplomatischem Parkett.
Immerhin wird die neue Leitung nicht befürchten müssen, dass der scheidende Direktor sich von „seinem“ Haus nur schwer wird lösen können. Seinen Ruhestand wird Fansa nicht in Oldenburg, sondern in Berlin verbringen. „Ich war gerne hier, aber muss hier nicht alt werden“, sagt der 64-Jährige – er sei eben ein Großstadtkind geblieben. Die Frage, ob eine Rückkehr nach Syrien je in Frage gekommen sei, beantwortet er mit einem entschiedenen „Nein“: Mit dem Land verbinde ihn nach mehr als vier Jahrzehnten nichts mehr, seine Geschwister lebten auch nicht mehr dort und außerdem, das habe er bei seinen diversen Reisen in den Orient gemerkt, sei sein Arabisch nicht so besonders.
Nach der Orientreihe: Das europäische Mittelalter
In der Hauptstadt hingegen erwarten ihn nicht nur seine dort lebenden Kinder, sondern auch seine neue – ehrenamtliche – Aufgabe: Fansa ist Mitbegründer der „Europäischen Vereinigung zur Förderung Experimenteller Archäologie“ (exar), die auf die erste europaweite Ausstellung zu dieser Teildisziplin zurückgeht, welche – kaum verwunderlich – im Landesmuseum Oldenburg konzipiert wurde und seitdem in mehr als 30 Städten zu sehen war. Er sehe sich selbst zwar nicht als Experimentalarchäologe – „Ich habe nur Leute zusammengebracht und Aufträge erteilt“ – und warnt vor den Auswüchsen medial aufbereiteter „Living History“ à la „Schwarzwaldhaus“. Zugleich lässt er aber keinen Zweifel an ihrem grundsätzlichen Wert als Interpretationsinstrument der klassischen Archäologie. In Berlin wird er sich intensiver mit diesem Thema beschäftigen können: Im Museumsdorf Düppel, wo seit 1975 das dort nachgewiesene hochmittelalterliche Dorf rekonstruiert wird, ist Fansa jüngst zum Vorsitzenden des Trägervereins geworden. Auch eher zufällig, wie er sagt.
Aber niemals geht man so ganz, wusste schon Trude Herr – und ein bisschen Fansa wird wohl auch in Oldenburg bleiben: Im Museum wird seit Jahren Aleppo-Seife verkauft, Marke „Fansa“. Tatsächlich entstammt der Mann einer traditionellen Seifendynastie, was bei einem Aleppiner schon ein wenig klischeehaft wirkt. Gleichwohl sei auch diese Seifengeschichte zufällig entstanden – ein Zufall, bei dem die Unesco, der deutsche Botschafter in Syrien, ein Oldenburger Stadtplaner, ein Großhändler aus Marseille und ein entfernter Cousin in Aleppo eine Rolle spielten und dessen Erläuterung wohl den Rahmen dieses Artikels sprengen würde.
Man darf gespannt sein, was der Zufall noch für ihn bereithält.