Kick it like 1990
Fußball als reine Handarbeit: Computerkicker spielen in Oldenburg die Deutsche Meisterschaft aus – in einem Spiel, das aus der Frühgeschichte der Branche stammt.
Mit einem langgezogenen „Jaaaaaahh!“, das das Rumtata des vorbeiziehenden Kramermarktumzugs locker übertönt, sinkt Thorsten vom Klappstuhl aus auf die Knie, reißt die Arme hoch und reckt den Joystick gen Zimmerdecke. Soeben hat der virtuelle Schiedsrichter abgepfiffen, seine namenlose Mannschaft hat ein weiteres Vorrundenspiel gewonnen, und kaum ein realer Fußballspieler könnte sich leidenschaftlicher freuen. Willkommen bei der Deutschen Meisterschaft im „Kick Off 2“.
Kick Off, das ist ein Relikt aus einer Zeit, als Computerspiele noch Pfui-bah waren, noch viel mehr als heute; als man sich unter Gamern noch dicke, pickelige Nerds vorstellte, mit denen je nach Alter niemand spielen und von denen die Mädchen schon mal gar nichts wissen wollten. 20 Jahre ist es her, dass das Spiel auf den Markt kam, und die zur Meisterschaft im Oldenburger Computermuseum angetretenen 16 Spieler – Spielerinnen sind nicht dabei – sind im entsprechenden Alter von Mitte bis Ende 30. Jüngere gibt es kaum: „Man muss eigentlich schon von Anfang an gespielt haben, um alle Kniffe zu kennen“, sagt Frank aus Mannheim, 37 Jahre alt und amtierender Deutscher Meister. Heißt: Man kommt nachträglich kaum mehr rein. Und heißt wohl auch, ohne dass es jemand laut ausspricht: Welcher heutige junge Computerspieler soll sich für dieses grafisch antiquierte Gebolze schon noch begeistern?
In jener Zeit, als sich niemand 3D-Fußballsimulationen auch nur im Traum ausmalen konnte, setzte Kick Off 2 Maßstäbe – die sich dem außen stehenden Betrachter allerdings kaum erschließen. Das Spiel wirkt unglaublich hektisch, die hässlichen gelben und blauen Pixelhaufen, die Spieler aus der Vogelperspektive darstellen sollen, wuseln in einer aberwitzigen Geschwindigkeit über den Platz, den Ball von einer Seite des Felds zur anderen zu bringen, dauert nur ein paar Sekunden. Trotzdem: Die technischen Möglichkeiten seien unerreicht, schwärmt Thorsten; man erlebe auch bei einer fünfstelligen Zahl an absolvierten Partien noch Situationen, die man so noch nie gesehen habe, sagt Oliver aus Düsseldorf. Wenn Fans über das Spiel reden, fallen Sätze wie „Man kann nicht gewinnen, wenn man nicht im Mittelfeld die Zweikämpfe gewinnt“, und dann klingt es beinahe wie beim echten Fußball.
Viele sind es allerdings nicht mehr, die das betagte Spiel am Leben halten. 70 Aktive gebe es weltweit, etwa 25 in Deutschland, sagt Thorsten – zahlenmäßig die stärkste Gruppe, international aber nur drittklassig, das Feld beherrschen die Griechen und Italiener. Ob letztere auch ihre Kick-Off-Spiele hauptsächlich durch Elfmeterschinden gewinnen, versuche ich mich in einem Fußballwitz-unter-Männern, aber die Antwort ist ganz nüchtern: Nein, Elfmeterschinden gehe bei Kick Off zwar auch, wenn man eine bestimmte Bewegung mache, aber das sei verpönt. Die Deutschen seien immerhin die lautesten, und wie zum Beweis brüllt Jan in Richtung Monitor: „Mach den doch rein, du Depp!“ Ob er tatsächlich gerade seine virtuellen Pixelspieler angeschrieen habe, frage ich; wohl eher sich selbst, meint Thorsten. Am Ende machen es die beiden Favoriten Oliver und Frank, die Nummern sieben und acht der Weltrangliste – natürlich gibt es auch eine Weltrangliste –, wie erwartet unter sich aus; mit einem für eine Kick-Off-Partie erstaunlich realistischen Ergebnis von 4:3 verteidigt Frank seinen Titel.
Eine Meisterschaft, eine Deutsche gar, ist ohne festgelegtes Reglement nicht denkbar; und so sind die Version des Spiels, die Spieldauer und die Plattform – der längst in die ewigen Schrottplätze eingegangene Commodore Amiga – festgelegt. Jeder hat allerdings sein eigenes Handwerkszeug dabei: Einer der Spieler zieht sich zu jeder Partie Sporthandschuhe an, ein anderer bringt seinen selbstgebauten Joystick mit – groß wie ein Schuhkarton und so robust aussehend, als könnte man damit Spundwände in die Erde hämmern. Das Steuergerät eines Spielers ist so etwas wie sein Heiligtum, sagt Thiemo Eddiks, der Betreiber des Museums, das sich auch sonst dem Nostalgiedaddeln verschrieben hat.
Die Fans nehmen ihr Spiel ernst genug, um weite Wege in Kauf zu nehmen; Thorsten ist vom Bodensee nach Oldenburg angereist, andere kommen aus Hamburg, dem Rheinland oder Hessen. Sie nehmen sich selbst und die Meisterschaft aber auch wiederum nicht so ernst, dass es in Verbissenheit ausartet; man merkt es unter anderem bei Zwischenrufen wie „Mist, ich bin ja die anderen“ (nach einem Eigentor) oder „Du bist Gelb!“ (als Antwort des Gegners) und vor allem an der Vielzahl der zwischen den altertümlichen Monitoren drapierten Bierflaschen und Chipstüten, als gelte es, jedes gängige Nerdklischee zu erfüllen. Und zugleich auch ein Fußballfanklischee – um Fußball geht es letztlich ja auch, irgendwie jedenfalls, nur dass an diesem Samstag in Oldenburg die Fans auch vor dem Bildschirm ins Schwitzen geraten.