Räumchen wechsel dich
Nach einer Wahl verschieben sich die Machtverhältnisse, werden die Karten neu verteilt, bilden sich neue Fronten (suchen Sie sich Ihre Lieblingsphrase aus) und, das ist zumindest nicht alltäglich, wechseln die Zimmernachbarn im Rathaus. Wie bei kaputten WGs im Endstadium hat man hier allerdings schon jetzt die Phase des Kommunizierens mit Zettelchen erreicht.
Die Linke, die dort bislang immer nur zu Gast war, und auch das eher selten, will jetzt auch ein eigenes Zimmer in der Rats-WG und ist scharf auf die Räume der Grünen. Die haben bekanntlich Zuwachs bekommen, brauchen ein bisschen mehr Platz und könnten dann ja, so die Linke, das auch nicht eben kleine Büro der FDP übernehmen, die, nun ja, in der kommenden Ratsperiode vielleicht auch mit weniger Quadratmetern auskommen könnte. Außerdem geht das Zimmer der Grünen nach Osten raus und hat einen schönen Ausblick auf den Markt, das ist viel besser als in einem Kabuff im Lambertihof hausen zu müssen.
Das Problem: Die Grünen denken gar nicht daran umzuziehen. Sie fühlen sich pudelwohl in ihren Altbauzimmern. Schließlich haben sie das Parkett dort selbst verlegt! Da sollen die Linken, die höchstens mal bei sich die Wände gestrichen haben, ihnen gefälligst jetzt nicht blöd kommen. Außerdem hätten sie, also die Grünen, auch 15 Jahre warten müssen, bis sie ein Zimmer in dem Neorenaissancebau ergattern konnten, die Adresse ist schließlich beliebt.
Mehr Platz brauche man allerdings tatsächlich, sagen die Grünen, und wenn man dafür eine Wand einreißen müsse, dann sei das eben so; schließlich wohnen sie, falls noch nicht erwähnt, auch schon ganz schön lange da. Also: Wand raus, danach habe man drei etwa gleich große Raumkomplexe, die dann unter ihnen, ihren Kumpels von den Sozialdemokraten und den Zweck-Mitwohnis von der CDU, die ab 22 Uhr auf Zimmerlautstärke bestehen, aufgeteilt werden. Ein kleinerer Raum bleibe dann schon noch übrig, der „selbstverständlich“ der – nicht näher benannten – viertgrößten Fraktion zustehe.
Das wären die drei Linken und der Pirat, der allerdings, wenn alle Stricke reißen, auch online von zuhause aus arbeiten und per Skype an den Sitzungen teilnehmen könnte. Noch wohnt jedoch die FDP mit ihrem FW-Untermieter im Haus, und alle Mitbewohner fragen sich, ob die sich nach dem Wahldesaster den großen Raum noch lange werden leisten können. „Könnse nich“, sagen die Linken; die Grünen könnten doch stattdessen deren Raum nehmen, Die Linke übernähme dann ihren alten, besenrein, die Teekisten und Billyregale können die Grünen mitnehmen, fürs Parkett zahlt man notfalls eben eine Ablöse, eine angemessene, versteht sich, ist ja auch nicht mehr ganz neu.
Aber die Grünen – wie gesagt – sträuben sich, und darüber mokiert sich die Linksfraktion in einer Presseerklärung. Der Vermieter fände das mit der putten Wand eh nicht so dufte, und außerdem, so entnehmen wir dem eineinhalbfachen Zeilenabstand des Schreibens, entkalken die Grünen nie die Kaffeemaschine und lassen immer den Klodeckel oben, und wo wir gerade davon anfangen: Die Linke ist sich auch nicht sicher, ob sich die Herren von der CDU alle an das Sitzpinkelgebot halten. Die sind deswegen schwer beleidigt, lassen zwischendrin mal eine Bemerkung darüber fallen, dass die anderen ja gerne auch mal häufiger den Abwasch machen und den Müll rausbringen könnten, halten sich ansonsten aber weitestgehend aus dem Hickhack heraus, weil sie ein bisschen Angst haben, demnächst auf dem Flur angequatscht zu werden: „Sagt mal, wofür braucht ihr jetzt eigentlich noch so viel Platz?“ Die verbleibenden FDP/FW-Ratsherren kommen ohnehin nur noch in aller Herrgottsfrühe, schließen sich den ganzen Tag ein und schleichen sich spätabends in der Hoffnung aus dem Haus, keinem der anderen zu begegnen. Der WG-Segen hängt schief.
Der Lokalteil, immer um Vermittlung bemüht, macht folgende Vorschläge: SPD, CDU und Grüne bekommen gleich große Räume in der Mitte, denn um die geht es ihnen ja immer. Die müssten dann allerdings in verschiedenen Etagen liegen. Die Grünen bleiben unten, wegen des Parketts und damit sie ihre Fahrräder nicht drei Treppen hochschleppen müssen, die SPD zieht nach oben – vielleicht sieht man von da den Silberstreif am Horizont besser –, die CDU bleibt in der mittleren Etage, da kann sie mit dem Besenstiel in beide Richtungen klopfen. Etwa wenn die Grünen wieder an irgendwelchen Wänden herummeißeln. Oder sich die älteren Genossen nach einem Schoppen Wein plötzlich wieder an Arbeiterkampflieder erinnern.
Die Linke nimmt dann irgendeinen Raum, der bei dem Herumgeräume übrig bleibt; Hauptsache, er hat einen vernünftigen DSL-Zugang. Das Ehepaar Drieling von der BfO zieht bei der CDU ein, bekommt aber ein eigenes kleines Nebenzimmer, ein bisschen Privatsphäre muss sein. FDP und FW allerdings müssen dann mit einem Raum neben dem Wäschekeller oder, wenn sie oben bleiben wollen, der Besenkammer vorlieb nehmen. Auf die hatte zwar auch schon der NPD-Mann ein Auge geworfen, aber da die Hausordnung in Punkto Tierhaltung sehr restriktiv ist, muss er mit Blondie ohnehin draußen bleiben.