Von Übersee nach Weser-Ems
Das Landesmuseum Natur und Mensch hat einen neuen Leiter: Peter-René Becker ist in der Zoologie genauso zuhause wie in der Ethnologie. Im Lokalteil-Interview äußert er sich zu seinen Ideen und Plänen und zur Zukunft des Hauses.
Herr Becker, Sie haben sich Oldenburg schrittweise genähert: Erst Göttingen, dann Osnabrück, zwischendurch Bielefeld, zuletzt Bremen. Wann waren Sie eigentlich zum ersten Mal hier im Landesmuseum Natur und Mensch?
Dieses Museum habe ich recht früh kennen gelernt, weil wir schon in Bielefeld eine Zusammenarbeit mit den Kollegen in Oldenburg hatten. Von Bremen aus war das natürlich noch dichter. Wenn Sie mich jetzt so fragen… das erste Mal hier im Museum war ich 1989.
Dann haben Sie den Vorher-Nachher-Effekt ja selbst mitbekommen – 1989 sah das Museum ja noch ganz anders aus. Wie ist diese Neuorientierung, wie ist das Haus selbst außerhalb von Oldenburg eigentlich wahrgenommen worden?
Sehr rege; gerade die Errichtung der drei neuen Dauerausstellungsbereiche wurde sehr offensiv wahrgenommen – ich denke, auch über Niedersachsen hinaus – und ihre Fertigstellung sehr begrüßt. Das Museum war zuvor ja tatsächlich so, dass man eine neue Dauerausstellung brauchte; die Entscheidung für die drei Themen, plus Aquarium und Mineralienkeller, die man auch nicht vergessen darf, war eine glückliche Entscheidung. Ich denke, so, wie es geworden ist, wird man es auf längere Sicht ruhig lassen können.
Sie promovierten in Zoologie, Anthropologie und Ethnologie. Sind sie eines davon mehr als die anderen?
Sicherlich bin ich mehr Biologe als Völkerkundler, aber ich habe Völkerkunde komplett studiert und in der Promotion als Nebenfach übernommen. Ich fand die Verbindung sehr spannend. Wenn man ein naturwissenschaftliches Fach studiert hat und mit dessen Methoden vertraut ist, also mit Experimenten und Laborarbeit, und dann bei einem philosophischen Fach wie Völkerkunde auf ganz andere Bedingungen stößt – dort gibt es ja eine ganz andere Form der Beweisführung, da ersetzt die Empirie das Experiment, und beide Methoden sind hochvalide und nicht gegeneinander ausspielbar – das fand ich für mich sehr bereichernd und es hat mir auch in meinem ganzen Berufsleben sehr geholfen, dass ich nie mit scheelem Blick auf die andere Fakultät geguckt habe. Ich habe beides erfahren, beides schätzen gelernt und im Beruf sehr gerne verbunden.
Da kommt es Ihnen sicher entgegen, dass der Ansatz dieses Museums ebenfalls ein interdisziplinärer ist. Hat das für Ihre Bewerbung eine große Rolle gespielt?
In den Gesprächen wurde das immerhin positiv aufgenommen. Es ist ja so, dass ich von den drei Departements hier immerhin zwei abdecke – Archäologie ist nicht mein Schwerpunkt, man muss ja auch mal ehrlich sagen, was man nicht leisten kann. Ich kenne das aus dem Übersee-Museum Bremen, wo ich vorher tätig war, dass die Verbindung zwischen den naturkundlichen und den völkerkundlichen Prozessen ja auch auf eine Wirklichkeit stößt. Wenn ich als Tourist irgendwo anders bin, gucke ich mir ja auch nicht am Montag die Bäume an, am Dienstag die Tiere und Mittwoch die Häuser oder die Menschen, sondern ich erlebe das in toto. Daraus entstehen Fragen, die ich dann für mich lösen will und dafür zum Beispiel ins Museum gehe. Wir müssen das nicht künstlich aufspalten.
Sie waren jahrelang im Übersee-Museum beschäftigt – konnten Sie das dort auch umsetzen?
Ja. Das war auch einer der Punkte, die damals dazu geführt hatten, dass ich diese Stelle bekam. Wir haben ja im Übersee-Museum diese Kontinentalausstellungen – Ozeanien, Asien, jetzt geht gerade Afrika los – immer interdisziplinär bearbeitet und die Fragen aus den jeweiligen Arbeitsgruppen zusammengefasst. Meine war immer: Welche Fragen haben die jeweiligen Ethnien an die Natur gestellt und wie bewerten sie die Antworten, die sie aus der Natur bekommen? Das geht dann auch oft in die Richtung von Mythen oder Traditionen. Also, das ging dort sehr gut, und ich werde in den Sonderausstellungen, die ja hauptsächlich mein Geschäft sein werden, hier auch so umfassende Themen bringen, dass diese Fragestellungen der außereuropäischen Kulturen, die wir ja auch als Sammlungsgebiet haben, beantwortet werden können.
Ein neuer Direktor bringt auch neue Ideen mit. Haben Sie da schon konkrete Vorstellungen, etwa in Bezug auf erste Sonderausstellungen?
Ja, sicherlich. Zunächst sind vor allem Ausstellungen gerechtfertigt, die die eigene Sammlung berücksichtigen, denn hier sind auch Schätze, die in den letzten Jahren wenig oder gar nicht gezeigt wurden. Einer dieser Schätze ist ein Meteorit, der größte Steinmeteorit, der je in Deutschland heruntergekommen ist und über den man zum Glück sehr viel weiß – zwar nicht das genaue Jahr, wann er in Benthullen eingeschlagen ist, es ist maximal 120 Jahre her –, aber man weiß, wo er entstanden und wie er zusammengesetzt ist. Es wäre eine Idee, das zum Anlass zu nehmen, eine Ausstellung über Meteoriten zu machen. Das können wir nicht allein stemmen, wir sind da angewiesen auf die Kollegen in Hamburg und Wien – dort ist die größte Meteoritensammlung der Welt, da wird es sicher möglich sein, Leihgaben zu erhalten.
Dann würde ich auch gerne Themen spielen, die nicht nur auf der Sammlung beruhen, sondern Relevanz in der Region haben – ich denke da an das Thema „Fisch“, wir sind ja immerhin in Norddeutschland. Oldenburg ist nun keine Fischanlandestelle, aber hier wird Fisch gegessen, hier werden die Thematiken wahrgenommen. Das ist ein sehr breites Spektrum. Man kann den Fisch als Organismus vorstellen, dann gibt es Fangquoten, die Rolle von Aqua- und Marikulturen bis zu dem Umstand, dass wir längst vor Küsten fischen, wo Indigene leben, denen wir die Fische wegfangen. Die Sammlung des Hauses spielt da eine untergeordnete Rolle, aber es ist ein Thema, das gesellschaftlich relevant ist.
Ihr Vorgänger hat viel Aufmerksamkeit mit großen kulturhistorischen Ausstellungen bekommen, die thematisch weit über die Region hinausgingen. Wird es, wenn man den Orient-Aspekt mal außen vor lässt, solche Sonderschauen auch künftig geben oder wird der Schwerpunkt doch eher in der Region liegen?
Weder noch. Ich werde diese großen kulturhistorischen Ausstellungen nicht fortführen können, weil ich dazu zuviel Know-how einkaufen müsste. Ich werde aber auch nicht nur in der Region bleiben. Wenn wir zum Beispiel die erwähnte Meteoritenausstellung machen, dann ist es auch ein ganz wichtiger Bestandteil, welche Bedeutung der Meteoritenfall für indigene Völker hat. Es kommen weltweit ja jeden Tag Meteoriten herunter, die meisten sehr klein, aber eben auch immer wieder mal größere. Dort haben sie sicherlich Mythen beeinflusst, auch Erklärungen zur Entstehung der Welt. Denn das muss man sich klarmachen: Jede Ethnie, und sei sie auch noch so klein, hat ein geschlossenes Weltbild, und darauf haben Meteoriten Einfluss genommen.
Sie hatten es bereits erwähnt – Archäologie haben Sie nicht auch noch studiert, das wird wohl auch niemand verlangen. Bislang hatte der Direktor das Feld mit abgedeckt – Mamoun Fansa ist Archäologe –, aktuell steht dieser Bereich, der zu den Grundpfeilern des Museums gehört, personell also nicht besonders gut da. Wie wird es da weitergehen?
Da hoffe ich, dass wir auf eine gute Zusammenarbeit mit der Landesarchäologie zurückgreifen können. Das wird auch einer meiner ersten Besuchstermine sein. Natürlich werden wir dieses Gebiet im Hause weiter pflegen, wir haben ja auch die Museumspädagogik im Bereich Archäologie und die Restauratorinnen. Wir wollen und können diesen Bereich also gar nicht aufgeben, aber wir werden ihn inhaltlich und wissenschaftlich stärker an die Landesarchäologie anbinden und ich denke und hoffe, dass ich da auf offene Türen stoße.
Sie haben eine Sonderausstellung geerbt: „O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehen…“ ist gezielt als Open-end-Schau gestartet worden, weil man seinerzeit noch gar nicht wusste, wie es weitergeht. Wie lange wird die noch zu sehen sein, und was kommt dann? Schon die Meteoriten?
Im Moment bin ich dabei, einen Zeitplan zu stricken. Wir werden auch, das ist Konsens im Haus, von einem Halbjahres- auf ein Quartalsprogramm umsteigen, weil man dann flexibler ist und schneller Änderungen vornehmen kann. Für das erste Quartal 2012 sehen wir vor, dass die Moor-Ausstellung enden wird, ein Datum kann ich noch nicht nennen. Wir planen dann, noch vor Ostern die neue Sonderausstellung zu präsentieren – und das kann dann die zum Thema Meteoriten sein, wenn die Zusammenarbeit mit den erwähnten Häusern wie erhofft klappt.
Sie werden noch in diesem Jahr 62 Jahre alt, ein Alter, in dem man sonst eher nicht noch neue Herausforderungen sucht. Was war für Sie der Reiz an dieser Aufgabe?
Das bin ich auch von Kollegen und im privaten Kreis gefragt worden: Warum denn jetzt noch? Nur für drei Jahre hätte ich es sicher nicht gemacht – die hätte ich auch glücklich in Bremen zubringen können. Aber in meinem Beruf muss man nicht unbedingt das normale Rentenalter beachten, finde ich – und der Vertrag läuft schließlich bis 2017. In sechs Jahren aber kann man noch eine Menge bewegen und Akzente setzen, das hat mich gereizt. Und danach – wer weiß, vielleicht kommt dann ja wieder ein Archäologe.
Noch eine Frage, die nichts mit Ihrer Profession zu tun hat: Wie sind Sie denn in Oldenburg angekommen?
(Lacht) Nett, dass Sie fragen. Also, angekommen bin ich ja in eine mir schon vertraute Stadt. Ich hatte mit meinem Kollegen Ulf Beichle, der ja hier die Naturkunde betreut, immer schon ein sehr gutes Verhältnis; wir hatten nie geahnt, dass wir mal in demselben Haus arbeiten würden. Was mich sehr freut, ist, dass ich auch von den Oldenburgern sehr höflich und nett aufgenommen worden bin. Natürlich ist man gespannt: Was macht der Neue? Das ist auch völlig in Ordnung, es ist ja eine fruchtbare Spannung, die einen beflügelt. Aber vom Tenor her sehr positiv, das freut mich.
Da möchte ich noch einmal nachhaken: Eine fruchtbare Spannung – oder vielleicht sogar eine gewisse Erwartungshaltung, was spektakuläre, überregional antizipierte Ausstellungen angeht?
Es wird sicher erwartet, dass Ausstellungen laufen, die überregional wahrgenommen werden. Das ist natürlich auch mein eigener Anspruch. Ich möchte zwar vor allem die Leute in der Region erreichen und Themen bringen, die sie originär interessieren, aber eben auch Menschen, die zum Beispiel in München oder Stuttgart wohnen – diese Relevanz sollten die Ausstellungen schon haben. Ich mache mir da gar keinen Druck, wir werden Ausstellungen von Anfang an so konzipieren, dass sie eine gewisse Strahlkraft haben. Welche Besucher wir dann letztlich erreichen, werden wir dann sehen. Aber ich schaue auch ganz gezielt auf die Besucher aus der Region, die darf man bei allem Nach-Außen-Gucken nicht vernachlässigen – das ist nun mal das Museum der Weser-Ems-Region, und ich fände es fantastisch, wenn die Leute aus der Region auch wirklich kommen.
Peter-René Becker, Jahrgang 1949, studierte Biologie und Ethnologie in Göttingen und promovierte in den Fächern Zoologie, Anthropologie und Ethnologie. Zuletzt leitete er den Bereich Naturkunde im Überseemuseum Bremen. Am 1. Oktober übernahm er die Leitung des Landesmuseums Natur und Mensch in Oldenburg.