Krieg und Frieden

Alle paar Wochen wird in irgendeinem Beitrag die Vorstellung eines angeblichen Friedensengels, der einst auf der Säule auf dem Friedensplatz gethront habe, kolportiert. Durch die ständige Wiederholung wird diese Behauptung allerdings nicht wahrer. Tatsächlich war der Platz, die Säule und vor allem die Statue an ihrer Spitze nach heutigen Begriffen alles andere als ein Friedenssymbol.

Gefallener Engel, geopferte Göttin: Die skulpturenlose Friedenssäule. FOTO: Maik Nolte

Gefallener Engel, geopferte Göttin: Die skulpturenlose Friedenssäule. FOTO: Maik Nolte

Was es stattdessen war, geht aus einem Aufsatz des Jahres 1881 hervor, den der Divisionspfarrer Dr. Brandt verfasste. Titel: “Das Krieger-Denkmal zu Oldenburg”, erschienen im Volksboten. Als “Kriegerdenkmal” war es demzufolge seinerzeit wohl auch geläufig; und Brandt wird gewusst haben, wovon er sprach: Er hatte schließlich eine der Reden zur Einweihung des Denkmals gehalten. Entstanden war das Ensemble in den Nachwehen des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71; dass bis zu ihrer Einweihung noch sieben Jahre verstreichen sollten, war laut Udo Elerd, dem stellvertretenden Leiter des Stadtmuseums, seinerzeit eine für die Stadt eher peinliche Angelegenheit: Überall ringsum waren bereits Denkmäler aufgestellt worden, nur in der Residenzstadt nicht. Daher ließ man sich, einmal den Entschluss zur Errichtung eines eigenen Kriegerdenkmals gefasst, auch nicht lumpen: Aus Schweden wurde ein Granitblock herangeschafft, aus dem die 6,41 Meter hohe Säule gefertigt wurde, und bekrönt wurde sie von der Siegesgöttin Victoria, der römischen Entsprechung der griechischen Nike. Ein Vorgang, der im Freudentaumel nach dem Sieg über den „Erbfeind“ an vielen Orten im Kaiserreich ganz ähnlich ablief. Auch die „Goldelse“ in Berlin ist damals entstanden; und auch sie stellt die Victoria dar. Im Unterschied zu ihrem ärmlicheren Oldenburger Pendant trägt sie heute noch denselben Namen wie zu Zeiten ihres Baus: Siegessäule.

In Oldenburg benannte der Magistrat zur Eröffnung des Denkmals 1878 den Platz in „Friedensplatz“ und die Säule in „Friedenssäule“ um. Eine pazifistische Anwandlung angesichts der Schrecken des Krieges? Wohl kaum, wir befinden uns schließlich im wilhelminischen Kaiserreich zur Hochphase des Imperialismus, und die Siegesbesoffenheit von 1871 war noch lange nicht in einen Kater umgeschlagen. Im zeittypisch schwülstigen Duktus waren denn auch die Reden gehalten, die zur Einweihung geschwungen wurden: Er übernehme, sagte der damalige Oberbürgermeister Freiherr von Schrenck, “das dargebotene Denkmal in den Besitz und Schutz der Stadt Oldenburg, aufdaß es seiner Bestimmung gemäß stehe zum ewigen Gedächtnis an jüngst vergangene große Zeiten, an die im Dienste ihres Vaterlandes ruhmreich dahingesunkenen Söhne und den von ihnen erkämpften glorreichen Frieden!”

Frieden durch Sieg

Ein Frieden also, der aus einem militärischen Sieg resultierte; ein Frieden, bei dem man nicht bloß froh war, dass das Gemetzel – Verzeihung: Das Dahinsinken – ein Ende hatte, sondern bei dem man zugleich den “glorreichen” Krieg abfeierte.  Dieser gedankliche Spagat könnte erklären, warum sich auf dem Sockel neben den Namen der im Krieg Gefallenen die sich merkwürdig um den heißen Brei herumlavierende Inschrift findet: „Sich errangen sie den Lorbeerkranz, dem Vaterlande die Palme des Friedens und das geeinte deutsche Reich.“ Palmzweig und Lorbeerkranz aber sind zusammen eigentlich schwer vorstellbar, es sei denn, man denkt bewusst an die Kampfparole des „Siegfriedens“, mit dem Hindenburg und Ludendorff vier Jahrzehnte später den Ersten Weltkrieg in die Länge ziehen und das Blut von Hunderttausenden Menschen saufen sollten. Diese begriffliche Schieflage hielt die Erbauer der Statue, die den Victoria-Skulpturen in der “Walhalla” nachempfunden war, allerdings nicht davon ab, sie genau so ambivalent zu gestalten: Den Palmzweig des Friedens in der einen Hand und mit der anderen sich selbst den Lorbeerkranz des Sieges aufsetzend.

Der Kranz des Siegers.  BILD: alt-oldenburg.de

Der Kranz des Siegers. BILD: alt-oldenburg.de

Wer war sie also nun, die Dame, die auf der Spitze der Säule thronte und die sich manche Oldenburger so sehr zurückwünschen? Bei aller offiziösen Kreidefresserei in bezug auf die Benennung – auch wenn man einem Esel einen goldenen Sattel verpasst, bleibt er doch ein Esel, lautet ein türkisches Sprichwort. Und so blieb die Figur oben auf der Säule auch stets dieselbe, nämlich Victoria; und der Lorbeer- oder Siegerkranz blieb das mythologische Symbol, mit dem im alten Rom, einem der Ideale des wilhelminisch-historistischen Kunstverständnisses, ganz real siegreiche Feldherren geehrt wurden. Die zuvor natürlich erstmal einen Krieg ausgefochten haben mussten.

Die Oldenburger Victoria, die übrigens nicht gen Frankreich, sondern in Richtung Innenstadt blickte, wurde während des zweiten Weltkriegs demontiert und für Hitlers Kriegsmaschinerie eingeschmolzen. Ein adäquates Ende für eine kriegerische Figur – wenn das ein Engel gewesen sein soll, dann beileibe kein Friedens-, sondern allenfalls ein Todesengel; kein gefallener, sondern einer für die Gefallenen. Ihm nachzutrauern wäre in etwa so sinnvoll, als würde man sich nach einer von Verderben und Zerstörung geprägten Zeit zurücksehnen. Und die ursprüngliche Intention hinter dem Denkmal heute mit dem Hinweis, dass es sich bei diesem um ein “Zeitdokument”, ein “Baudenkmal” oder einfach ein “Stück Stadtgeschichte” handele, gezielt zu historisieren und so seine Wiederherstellung zu propagieren, führt auf einen Irrweg – man kann die originalgetreue Neuerrichtung eines Denkmals nicht von der Intention trennen, die ihm ursprünglich einmal zugrunde lag.

Schöner sterben mit Victoria

Und diese Intention klang seinerzeit so: “Möge es immerdar eine begeisternde Leuchte der Vaterlandsliebe für die Jugend, ein mahnendes Symbol der Ausdauer und treuen Pflichterfüllung für das reifere Alter sein! Mögen Frauen ihre Männer, Mütter ihre Söhne, Schwestern ihre Brüder an seine Stufen führen, wenn das Vaterland wieder in Gefahr ist, und ihnen zurufen: ‘Ziehet hinaus in den Kampf, und wenn es sein muß, in den Tot [sic], gleich denen, deren Namen ihr dort eingeschrieben findet!’” So sprach v. Schrenck zur Einweihung und vergaß, nebenbei gesagt, auch nicht den Aufruf zur Wachsamkeit “nicht allein gegen äußere, sondern auch gegen innere, im Stillen wühlende Feinde”. Gewiss eine Rede, die dem damaligen Zeitgeist geschuldet ist und die man nicht nach heutigen Maßstäben bewerten kann. Aber es geht ja auch nicht um den denkmalpflegerischen Erhalt eines existierenden Monuments, sondern um dessen neuerliche Errichtung – und die wäre eine politische Entscheidung unserer Tage und nicht der 1870er-Jahre. Warum sollte sich eine neue Zeit an alter Symbolik orientieren?

Man kann durchaus darüber diskutieren, ob auf der Friedenssäule auf dem Friedensplatz nicht ein Friedenssymbol installiert werden sollte. Da es einen „Engel“, der dorthin „zurückkehren“ sollte, nun aber nicht gegeben hat, ist eine solche Forderung schlicht Unfug. Ein paar Flügel am Rücken machen aus einer Göttin noch lange keinen Engel; ebensowenig wie der Hirtengott Pan zu Satan wird, bloß weil er über Hörner und Hufe verfügt. Dies möge – man verzeihe die Wiederholung, aber bei diesem Thema hat man mitunter das Gefühl, es nicht oft genug betonen zu können – fürderhin als in Stein gemeißelter Fakt gelten: Was auf der Säule gestanden hat, war – gewundene Vaterlandsrhetorik hin, volkstümliche Überlieferung her – ein Symbol des Krieges, nicht des Friedens. Wenn der Begriff “Frieden” nur in Kopplung mit Krieg vorstellbar ist, ist er nichts weiter als eine hohle Phrase.

Und: Wenn es denn schon unbedingt ein gefiedertes und geflügeltes Wesen auf der Säule sein muss – wie wäre es mit einer Friedenstaube? Mit Zweig im Schnabel und allem; ein Symbol, das niemand fehldeuten kann? Dass diese Forderung noch nie ernsthaft diskutiert wurde, stimmt bedenklich: Es zeigt nämlich bestenfalls, dass es mit dem Geschichtsbewusstsein der Engel-Apologeten nicht besonders weit her ist. Schlechtestenfalls deutet es auf etwas viel beunruhigenderes hin: Dass es ihnen gar nicht um den Frieden, sondern entweder um ein diffus-lokalpatriotisches Kuschelgefühl oder, schlimmer noch, um eine Rückkehr zu reichsherrschaftlicher Symbolsprache geht.

Oldenburg, deine Denkmäler – man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben.