Schutzreservat für bedrohte Copyandpaster
Die ungarische Philosophin Àgnes Heller wird mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg geehrt. Das konnte man am Donnerstag in der NWZ lesen. Die entsprechende Pressemitteilung der Stadt wurde allerdings erst am Donnerstagvormittag versandt. Ist die NWZ so sehr auf Zack? Hat sie tiefgründige Recherchearbeit geleistet, Leute bestochen und sich nachts um drei auf nebelverhangenen Brücken mit Jurymitgliedern getroffen, um an diese Info zu kommen? Oder handelt es sich um einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum? Achwo, die Antwort ist viel banaler.
Woher wir wissen wollen, dass die NWZ die Info vom Pressebüro der Stadt bekommen hat und nicht von einem Jurymitglied? Ganz einfach. Zeit, eine neue Runde “Finde die Unterschiede” zu spielen – bei diesem Paradebeispiel können wir gar nicht anders. Auf der einen Seite finden Sie die offizielle, am Donnerstag herumgeschickte Pressemitteilung der Stadt, auf der anderen Seite den Artikel in der NWZ desselben Tages (dass dieser mit einem Redakteurskürzel versehen wurde, sei nur am Rande bemerkt).
Text A | Text B |
Der CarlvonOssietzkyPreis für Zeitgeschichte und Politik der Stadt Oldenburg des Jahres 2012 wird nach einstimmigem Votum der unabhängigen Jury der ungarischen Philosophin Prof. Dr. Ágnes Heller zuerkannt. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wird am 4. Mai 2012 im Rahmen eines Festaktes verliehen. Am 3. Mai wird die Preisträgerin in einer öffentlichen Abendveranstaltung mit prominenten Gästen über Demokratie, Freiheitsrechte und europäische Identität diskutieren. | Der Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik der Stadt Oldenburg 2012 wird nach einstimmigem Votum der Jury der ungarischen Philosophin Prof. Dr. Agnes Heller zuerkannt. Der Preis ist mit 10 000 Euro dotiert und wird am 4. Mai 2012 im Rahmen eines Festaktes verliehen. Am 3. Mai 2012 wird die Preisträgerin in einer Abendveranstaltung über Demokratie, Freiheitsrechte und europäische Identität sprechen. |
Die Jury schreibt in ihrer Begründung: „Die 1929 in Budapest geborene Philosophin Ágnes Heller erhält den Preis aufgrund ihrer Furchtlosigkeit, mit der sie zeitlebens unter wechselnden Regimen ihren eigenen Überzeugungen gefolgt ist. Als europäisch und kosmopolitisch denkende Intellektuelle gibt sie einem verängstigten Europa ein eindrucksvolles Beispiel.“ | Die Jury schreibt in ihrer Begründung: „Die Philosophin erhält den Preis aufgrund ihrer Furchtlosigkeit, mit der sie zeitlebens unter wechselnden Regimen ihren eigenen Überzeugungen gefolgt ist. Als europäisch und kosmopolitisch denkende Intellektuelle gibt sie einem verängstigten Europa ein eindrucksvolles Beispiel.“ |
Der Jury gehören an die Literaturwissenschaftlerin und JurySprecherin Prof. Dr. Sabine Doering (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), der Historiker Prof. Dr. Norbert Frei (FriedrichSchillerUniversität Jena), der Soziologe und Konfliktforscher Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer (Universität Bielefeld), der Journalist Dr. Gunter Hofmann (Die ZEIT, Berlin) sowie der Direktor des NDRLandesfunkhauses SchleswigHolstein, FriedrichWilhelm Kramer (Kiel). | Der Jury gehören an die Literaturwissenschaftlerin und Jury-Sprecherin Sabine Doering (Uni Oldenburg), der Historiker Norbert Frei (Uni Jena), der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer (Uni Bielefeld), der Journalist Gunter Hofmann (Berlin) sowie der Direktor des NDR-Landesfunkhauses Schleswig-Holstein, Friedrich-Wilhelm Kramer (Kiel). |
Ágnes Heller wurde 1929 als Tochter jüdischer Eltern in Budapest geboren. Während ihr Vater und viele ihrer Verwandten und Freunde in der Zeit des Nationalsozialismus deportiert und ermordet wurden, konnten sie und ihre Mutter der Judenverfolgung knapp entgehen. 1947 legte sie am Jüdischen Gymnasium in Budapest ihr Abitur ab. Danach schrieb sie sich an der Universität Budapest für Physik ein, wechselte jedoch nach einer Vorlesung des Philosophen Georg Lukács das Fach und studierte Philosophie. | Agnes Heller wurde 1929 als Tochter jüdischer Eltern in Budapest geboren. Während ihr Vater und viele ihrer Verwandten in der Zeit des Nationalsozialismus deportiert und ermordet wurden, konnten sie und ihre Mutter der Judenverfolgung knapp entgehen. 1947 legte sie in Budapest ihr Abitur ab. Danach schrieb sie sich an der Uni Budapest für Physik ein, wechselte jedoch nach einer Vorlesung des Philosophen Georg Lukács das Fach und studierte Philosophie. |
Sie wurde Schülerin des marxistischen Philosophen, promovierte und arbeitete als LukáczAssistentin an der Universität. Heller publizierte sehr viel, kam aber bald als Mitglied der kommunistischen Partei mit der Parteiführung in Konflikt, die ihr mangelnde Linientreue vorwarf. 1958 wurde sie wegen „konterrevolutionärer Tätigkeiten“ und Ideen aus der Partei ausgeschlossen und mit Berufsund Publikationsverbot belegt. | Sie wurde Schülerin des marxistischen Philosophen, promovierte und arbeitete als Lukácz-Assistentin. Heller publizierte sehr viel, kam aber bald als Mitglied der kommunistischen Partei mit der Parteiführung in Konflikt. 1958 wurde sie wegen „konterrevolutionärer Tätigkeiten“ aus der Partei ausgeschlossen und mit Berufs- und Publikationsverbot belegt. |
Zu Anfang der liberaleren 1960er Jahre durfte sie wieder in ungarischen Zeitschriften insbesondere ihre EthikStudien über Kant, Kierkegaard, Rousseau und Feuerbach veröffentlichen. 1968 erhielt sie wegen ihres Protestes gegen die Besetzung der Tschechoslowakei durch den Warschauer Pakt erneut ein Publikationsund Reiseverbot. In den folgenden Jahren wurden gegen sie und andere Mitglieder der „Budapester Schule“, eines philosophischen Freundeskreises aus dem geistigen Umfeld von Georg Lukács, Disziplinarverfahren eingeleitet. Es folgten Suspendierungen sowie systematische Bespitzelungen und Überwachungen. | Zu Anfang der liberaleren 1960er Jahre durfte sie wieder veröffentlichen. 1968 erhielt sie wegen ihres Protestes gegen die Besetzung der Tschechoslowakei durch den Warschauer Pakt erneut ein Publikations- und Reiseverbot. |
1977 emigrierte Heller mit ihrem Mann, dem Philosophen Ferenc Fehér, und ihrem Sohn nach Australien. Dort lehrte sie als Soziologieprofessorin an der La Trobe Universität in Melbourne. Anschließend übernahm sie als Nachfolgerin von Hannah Arendt den Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. | 1977 emigrierte Heller mit ihrem Mann, dem Philosophen Ferenc Fehér, und ihrem Sohn nach Australien. Dort lehrte sie als Soziologieprofessorin an der La Trobe Uni in Melbourne. Anschließend übernahm sie als Nachfolgerin von Hannah Arendt den Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. |
In den 1990er Jahren kehrte sie nach dem politischen Systemwechsel wieder regelmäßig nach Ungarn zurück. 2001/ 2002 wurde sie Fellow des Kollegs Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar. Inzwischen lebt Ágnes Heller wieder in Budapest. | In den 1990er Jahren kehrte sie nach dem politischen Systemwechsel wieder regelmäßig nach Ungarn zurück. 2001/2002 wurde sie Fellow des Kollegs Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar. Inzwischen lebt Agnes Heller wieder in Budapest. |
(Wir geben zu: Dieses Mal ist es besonders knifflig. Daher geben wir ausnahmsweise einen Tipp: Nur in einem der beiden Texte ist angegeben, für welche Zeitung das Jurymitglied Gunter Hofmann arbeitet, der andere verschweigt dies. Die Lösung schreiben Sie auf eine Postkarte und hängen diese hinter Ihren Schrank.)
Auf Nachfrage bestätigte das Pressebüro, dass die NWZ vorab informiert worden ist, damit ihr gegenüber den Rundfunk- und elektronischen Medien “kein Nachteil erwächst”. Ein Schutzreservat für den bedrohten Printsektor also. Oder doch eine Extrawurst? Zumindest auswärtige Printmedien hatten das Nachsehen: Auch die Deutsche Presseagentur dpa, die die meisten deutschen Zeitungen beliefert, erklärte auf Anfrage, erst am Donnerstagvormittag die Pressemitteilung erhalten zu haben. Begeisterung über das Vorgehen der Stadt klang ohnehin bei keinem der von uns gefragten Kollegen durch. Zu häufig hatte es in den vergangenen Jahren, vor allem unter dem vorigen Leiter des Pressebüros, ähnliche Fälle gegeben.
Zugegeben: Es muss ein hartes Schicksal sein, das man als einziges tagesaktuelles Printmedium der Stadt zu ertragen hat. Andererseits hat auch die NWZ ein Onlineportal, mit dem sie bei Bedarf genauso schnell berichten kann wie die Medien, vor denen sie geschützt werden soll. Und durch den Umstand, dass die gedruckte NWZ schon frühmorgens in den Briefkästen und an den Kiosken lag, die offizielle Pressemitteilung aber erst vormittags an die anderen, eigentlich als schnell geltenden Medien verschickt wurde, wandelt sich der vermeintliche Nach- in einen handfesten Vorteil für die Zeitung: Alle anderen Redaktionen stehen blöd da, weil es so aussieht, als würden sie bloß der NWZ hinterherhecheln. Es geht dabei nicht um Gefeilsche um ein paar Stunden, sondern um die öffentliche Wahrnehmung der Berichterstattungskompetenz eines Mediums – und die ist in dieser Branche bare Münze wert.