Der Fluch des grünen Gemüses
Essen, singen, trinken, schnacken, Reihenfolge variabel: Die Stadt Oldenburg lud zum jährlichen “Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten” nach Berlin. Ob dem neuen Kohlkönig ein ähnlich tragisches Schicksal blüht wie einigen seiner Vorgänger?
Das jährliche Grünkohlessen in Berlin ist für alle Beteiligten eine feine Sache. Die Stadt kommt mit einem lockeren Thema in die überregionale Presse; Vertreter aus Wirtschaft und Politik können den denkbar kürzesten Weg nehmen, um über das zu sprechen, worüber Vertreter aus Wirtschaft und Politik nun mal so sprechen, und das auch noch bei Freibier – und Journalisten können es nutzen, um entweder ein bisschen was Buntes in den Politikteil zu bringen oder die provinzmajestätische Spaßehrung mehr oder weniger ironisch in einen Artikel über den entsprechenden Politiker einfließen zu lassen. Ansonsten ist in der Berichterstattung über die vergangenen 54 Kohlkönigszeremonien wohl schon alles geschrieben worden, was man dazu schreiben kann – zumeist mit deutlich brat-, meinetwegen auch pinkelwurstigem Unterton.
Was also noch schreiben über das städtisch organisierte Elitengelage? Dass das Wahlgetue der Kurfürsten ein bloßes So-tun-als-ob ist? Geschenkt, weiß jeder. Dass der Kohl lecker und das Bier kühl war? Schreiben andere zur Genüge. Dass das gemeinsame „Heil dir, o Oldenburg“-Singen mehr als nur ein bisschen piefig herüberkommt? Sei’s drum. Und dass der Anspruch an die Festredner, einen möglichst witzigen Wortbeitrag zu leisten, auch nicht immer so ganz erfüllt wird? Kann man sich denken. Ex-Kohlkönig Philipp Rösler etwa, den man sich ohnehin nur schwer mit einem Lampenschirm auf dem Kopf auf einer aus dem Ruder laufenden Party vorstellen kann, mag als herausragendes Beispiel gelten, der selbst das in dieser Hinsicht eher genügsame Grünkohlvolk – das bereits jubelt, wenn der frischgekürte König Günther Oettinger („Erstaunlich“, schreibt die Süddeutsche) sagt, das Wort „Bremen“ sei für ein Jahr aus seinem Wortschatz gestrichen – eher zum Weinen als zum Lachen gebracht hat.
Denn die Scherze, mit denen der FDP-Vorsitzende (“Nur Fragen zum Grünkohl!”) seine Abschiedsrede anreicherte, waren entweder uralt – Beispiele: Er habe die Zahl der Schafe im Oldenburger Land bestimmt, indem er die Beine gezählt und das Ergebnis dann durch vier geteilt habe oder, gnihihi, er sei in Oldenburg mit Blumen beworfen worden, an denen leider noch die Töpfe hingen – oder schlicht deplatziert. Er sei in Libyen gewesen, sagte der Wirtschaftsminister, und die Libyer hätten „nur eines von ihm gewollt: Das Rezept für Oldenburger Grünkohl“. Das, habe er geantwortet, gehe nun gar nicht, alles andere können sie haben, aber nicht das. „Kein Kohl für Öl!“ Harhar. Sagt der Mann, dessen Partei die Libyer vor nicht allzu langer Zeit schon mal veräppelt hat. Der Anteil der Gäste, die sich darüber beömmelt haben: Wahrscheinlich nicht mehr als zwei Prozent.
Sein Nachfolger schlug sich etwas besser, das heißt, soweit man ihn verstand, das ist nämlich auch dann nicht ganz einfach, wenn er deutsch spricht. Mit seinen „Gohlgöppen“, wie Oettinger die Anwesenden ansprach; in offenbarer Unkenntnis darüber, dass Grünkohl in Form einer Palme wächst. Gut, das sah man den dampfenden grünen Haufen auf den Tellern auch nicht wirklich an; Oettinger am allerwenigsten, der seine Miniportion ohnedies kaum angerührt hat, wie der dpa-Journalist beobachtet haben will. Ansonsten hat der Mann – Oettinger, nicht der dpa-Mitarbeiter – die maßgeblichen Wikipediaeinträge verinnerlicht: In der Bandbreite berühmter OldenburgerInnen – Helene Lange, Karl Jaspers, Ulrike Meinhof (ja, tatsächlich), Dieter Bohlen – fühle er sich durchaus wohl. Und er weiß, dass das Haus Oldenburg kreuz und quer durch Europa geheiratet hat. Dass Oldenburger mal den dänischen Thron bestiegen haben. Dass Kopenhagen deswegen eigentlich ein oldenburgischer Stadtteil sei, und da das Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, sei Oldenburg schlussendlich die Hauptstadt Europas. Jubel von den Gohlgöppen. Ach ja, und windig sei es hier auch, die EWE sei ein gutes Unternehmen und die “Spaßbremsen” von den Grünen würde er gerne mal im Rathaus besuchen.
Spaßiger, wenn auch etwas steif rübergebracht, war da schon die Rede Schwandners, die ihren Humorgehalt zu nicht unwesentlichen Teilen aus der momentanen Situation der FDP bezog. Wer in Niedersachsen Karriere mache, der werde „mit etwas Glück sogar Parteivorsitzender. Mit etwas Pech bei der FDP“. Der Partei, die zustimmungstechnisch im Bereich der Anarchistischen Pogopartei rangiere und bei der er es dann mit Leuten wie Rainer Brüderle, dem „Karl Moik der Wirtschaftspolitik“, zu tun habe.
Vielleicht schreibt man aber auch einfach über dies: Dass das Amt des Kohlkönigs offenbar nicht gerade förderlich für die weitere Karriere, ja, vielleicht gar ein Fluch ist. Wer in den vergangenen Jahren die Kette mit dem Schwein umgehängt bekam, rieb sich nicht selten kurz darauf die Augen ob des politischen Bedeutungsverlusts. Guttenberg, gekürt 2010, hat sich anschließend selbst demontiert. Ole von Beust: Fluchtartig die politische Bühne verlassen. Steinmeier: Wer war das doch gleich? Naja, und dann, gerade sechs Jahre ist es her, hieß der Kohlkönig Christian Wulff, und der ist jetzt gerade fällig. Und nun Rösler. Der habe aber doch während seiner Regentschaft Karriere gemacht, sagt Schwandner im Interview, er habe ja in dieser Zeit den Parteivorsitz übernommen. Aber das auch nur, weil eine andere Ex-Majestät den Laden gründlich an die Wand gefahren hat: Guido Westerwelle, Regent im Jahr 2003.
Ob der Fluch des vitaminreichen Gemüses auch Oettinger trifft – man wird sehen. Böse Zungen behaupten, als Kommissar in Brüssel liege seine Laufbahn ja ohnehin schon am Boden. Und, um fair zu sein: Nicht alle ehemaligen Kohlkönige sind heute politisch erledigt. Manche haben es sogar hinterher zur Kanzlerschaft gebracht. Rösler kann sie alle aufzählen: „Schmidt, Schröder, Merkel und“ – festhalten, jetzt kommt’s – „na klar, Kohl“. Hihi. „Muttis Liebling“ (O-Ton Schwandner) selbst wird allerdings kaum je Teil dieser erlesenen Gruppe sein. A propos Mutti: Wer jetzt die zündende Idee hat, Angela Merkel als nächste Kohlkönigin vorzuschlagen, um sie mittelfristig loszuwerden – es ist zu spät, sie war es bereits, und sie hat den Fluch einfach ausgesessen.