Im Dutzend närrischer
Es gibt Dinge, die sollte man als Oldenburger mal mitgemacht haben. Eine Kohlfahrt etwa. Das Stadtfest natürlich. Den Kultursommer – und den Rosenmontag. Ein Selbstversuch.
Es gibt so ein ganz bestimmtes Lächeln, das die Oldenburger draufhaben. Ein spezielles, das man nur an einem einzigen Tag im Jahr zu sehen bekommt, eine Mischung aus mitleidiger Amüsiertheit, verblüfftem Unverständnis und einer Prise Fremdschämerei. Als ich an diesem Montag mein Fahrrad abschließe und zum Rathaus hechte, kommt mir ein Pärchen mit genau diesem Lächeln entgegen, der Mann sagt gerade so etwas wie „… und das in Oldenburg!“ – und ich weiß in diesem Moment, dass ich zu spät gekommen bin: Die beiden haben ganz offensichtlich den Karnevalsumzug passiert, den vermutlich kleinsten und sonderbarsten im ganzen Land. Die Narren müssen bereits im Rathaus eingetroffen sein, Verzeihung: es gestürmt haben. Lautes Rumtata, das aus der schweren Eingangstür quillt, bestätigt diese Vermutung, ansonsten deutet wie üblich nichts in der Fußgängerzone darauf hin, dass Rosenmontag ist. Rosenmontag in Oldenburg.
Der Umzug wird ähnlich spektakulär gewesen sein wie stets. Verkehrsumleitungen sind hier nicht nötig – die Handvoll Oldenburger Karnevalisten kann auch an der Ampel warten, es sind selten mehr als ein Dutzend, von geschmückten Festwagen können sie nur träumen – und tun es vermutlich auch. Oben im Rathaus – ich hetze an zwei schwer gelangweilt aussehenden Polizisten vorbei – ist der Großteil der Rede, einer jener Art, die traditionell mit dem Attribut „launig“ bedacht wird, bereits vorbei. Ich bekomme nur noch einen müden Witz über die Wohnungsnot in Oldenburg mit: Das Schwesternwohnheim in Kreyenbrück, sagt jemand, den ich aufgrund der Größe seiner Narrenkappe als Oberkarnevalist identifiziere, könne doch von Studenten bezogen werden: „Wer da nicht wohnen will, soll auch nicht in Oldenburg studieren!“ Kein Tusch, niemand lacht, vielleicht war es auch gar kein Witz.
Grüne und SPD hatten die Karnevalisten des Blau-Rot Oldenburg eingeladen, nachdem Oberbürgermeister Gerd Schwandner, ebenfalls schon traditionell, nicht in Jeckenstimmung war und sich verdünnisiert, vielleicht auch in seinem Büro verbarrikadiert hatte. Bereits in den letzten Jahren hatten seine politischen Gegner diese Gelegenheit genutzt, um bei dem Häuflein Hardcorenarren Bürgernähe zu demonstrieren und vielleicht eine oder zwei Wählerstimmen zu gewinnen, kann in Oldenburg ja entscheidend sein. Die Fraktionschefs Bernd Bischoff und Sebastian Beer schütteln Hände, lächeln – es sah anders aus als das oben beschriebene Lächeln der Passanten – und nehmen den Narren den am 11.11. überreichten Schlüssel wieder ab. Kurzes Aufhorchen, als Beer gesteht, dass er doch etwas mit Schwandner gemein habe – nämlich die karnevalistische Vorschädigung –, dann wird schnell zum gleichsam traditionellen gemeinsamen Schwandnerbashing ausgeholt. „Noch zwei Jahre, dann sind wir ihn los und dann begrüßt Sie ein grüner Bürgermeister“, sagt Beer, „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“, meint einer der aufgrund der oberbürgermeisterlichen Verweigerungshaltung dauereingeschnappten Karnevalisten; und damit ist dieser Teil auch erledigt.
Es sind sieben, acht, vielleicht auch zehn Jecken an der Zahl, die normale Kopfstärke, die der Verein hier in der Stadt jedes Jahr an diesem Höhepunkt der Session erreicht und die zahlenmäßig von der aus Brake eingeflogenen Marchingband locker in die Tasche gesteckt wird. Unterstützt werden sie, zumindest im Rathaus, von einem Tross von vielleicht noch einmal zwei Dutzend Leuten, allesamt unkostümiert, vielleicht waren sie wie ich auch bloß neugierig. Es ist das Schicksal dieses allgemein als einer der wohl unbedeutendsten Karnevalsvereine überhaupt eingeschätzten Trupps, eher als Kuriosum denn als folkloristisch angesehen zu werden und in einer Stadt beheimatet zu sein, die mit der Narretei so ganz und gar überhaupt nichts am Hut hat. Und dann auch noch wehmütig ins keine 30 Kilometer entfernte Ganderkesee blicken zu müssen, in dem tagelang der Bär steppt und die Zahl der Teilnehmer das 3.000fache beträgt.
Auch die Tanzmariechen Sabrina und Regina sind bei mehreren Vereinen aktiv; wären sie allein auf das Oldenburger Publikum angewiesen, würde das Hobby an Masochismus grenzen. Es reicht ja schon, dass sie zu einem Medley aus Marianne Rosenberg, irischen Steptanzweisen und einer verpoppten Version des Schlümpfelieds tanzen und hüpfen müssen. Immerhin gibt’s dafür Applaus, sogar einen noch größeren für die Mitteilung, dass sie Schwestern sind, als ob das die beeindruckendere Leistung wäre – und ein dreifaches „Oldenburg – Helau!“ Der fällige Tusch kommt aus dem Ghettoblaster.
Neben dem halben Dutzend Narrenkappen und den puscheligen Hüten der Band fällt in der größtenteils zivil gewandeten Gesellschaft ansonsten nur noch ein quietschroter Kunstfaser-Cowboyhut auf; darunter befindet sich SPD-Ratsherr Christoph Sahm. Der wirft nicht nur zwei Handvoll Kamelle, sondern auch ein paar Worte in die Runde, in rheinischer Mundart und – als das niemand versteht – noch einmal auf Hochdeutsch. Er eröffnet die grün-rote Getränkebar – die Grünen erwähne er deshalb zuerst, weil sie das Ganze bezahlt hätten, sagt er – und verweist darauf, dass die Getränkebatterie streng alkoholfrei ist. Auch das muss, wie der trostlose Tusch aus der Konserve, typisch für den hiesigen Karneval sein: Der mutmaßlich einzige Rosenmontagsumzug, der ohne Alkohol auskommt. Oldenburg bleibt Oldenburg, egal ob jemand singt und lacht.
Mir ist ohnehin eher nach Kaffee zumute, daher verlasse ich vorübergehend die Gesellschaft im trüb beleuchteten Ratssaal – finde sie aber eine halbe Stunde später problemlos wieder: Das Trüppchen marschiert, geduldig winkend, „Helau“ rufend und Bonbons schleudernd, durch die Stadt und wird vom Volk bestenfalls zur Kenntnis genommen. Wieder begegnet man dem Oldenburger Rosenmontagslächeln, zumeist unter einer gerunzelten Stirn oder in schneller Bewegung, wenn der dazugehörige Kopf gerade leicht ungläubig geschüttelt wird. Eine Abteilung außerirdischer Invasoren könnte nicht fremdartiger wirken, würde aber mehr Beachtung finden. Trommelnd und trompetend geht es zurück Richtung Pferdemarkt, über den Fußgängerüberweg am Heiligengeistdamm, an dessen Ampel just in diesem Moment lustigerweise das Schwandnermobil hält, die schwarze Limousine mit dem Kennzeichen OL-OB 1. Ob er selbst drinsitzt, ist schwer zu sagen, sehen kann ich ihn nicht, aber vielleicht hat er sich hinter den Rückenlehnen der Vordersitze versteckt.
Die Narren bemerken es nicht, sie bewegen sich durch die beinahe menschenleere Heiligengeiststraße und freuen sich über jeden, der zumindest für ein paar Sekunden stehen bleibt – viele sind’s nicht, und von denen, die es tun, sind die meisten jünger als acht Jahre. Das Publikum aus dem Rathaus ist nicht mehr dabei, begleitet wird der Trupp lediglich noch von den beiden hierfür abkommandierten Polizisten, in etwa zweihundert Metern Abstand. Und dann ist der Spuk für dieses Jahr auch schon wieder vorbei, die Oldenburger Narren widmen sich wieder dem, was sie die restlichen etwa 360 Tage des Jahres machen. Wieder haben sie tapfer Flagge gezeigt, ihr hier so deplatziert wirkendes Ding durchgezogen und dem Durchschnittsoldenburger etwas gegeben, womit er seine Freunde in anderen Städten erheitern kann.
Denn trotz ihrer geringen Zahl und ihres höchst sporadischen Auftauchens kennt sie jeder in der Stadt, und ohne sie – seien wir ehrlich – würde hier etwas fehlen. Man muss sie eigentlich gern haben, die Oldenburger Jecken.