Der Weltraum, endliche Weiten
Regelmäßig beobachten die “Oldenburger Sternfreunde” den Nachthimmel. Wenn die norddeutsche Witterung es erlaubt, heißt das.
“Abnehmende Venus”, sagt Bernward Große: “Das heißt, sie entfernt sich.” Im Teleskop-Okular ist eine helle Sichel zu erkennen, für einen Laien sieht sie auf den ersten Blick aus wie der Mond. Der zweite Blick – der mit bloßem Auge – bestätigt: Es handelt sich tatsächlich um den Nachbarplaneten, der tief über dem westlichen Horizont hängt, der Mond ist noch gar nicht aufgegangen. An diesem Aprilabend, an dem die Oldenburger Sternfreunde zur öffentlichen Beobachtung laden, ist die Venus ohnehin der einzige Himmelskörper, der zu sehen ist; der Rest des Nachthimmels verschwindet unter einer durchgehenden Wolkendecke. Passiert oft in Oldenburg, sagt Große. Mit guten Teleskopen könne man zwar trotz Wolkenschleier manchmal noch etwas sehen, aber wenn es sich richtig zuzieht, ist nichts mehr zu machen.
Die Vereinsmitglieder fahren zum Sterngucken daher gerne raus aus der Stadt, nicht nur in der Hoffnung auf einen klareren Himmel, sondern vor allem, um der Beleuchtung durch Straßenlaternen zu entgehen. In Friesoythe bauen sie gerade ihr eigenes Observatorium. Früher hätten sie ihre öffentlichen Beobachtungsabende am Bornhorster See gemacht, sagt Große. Bessere Bedingungen, aber “zu weit draußen – da kamen immer weniger Leute”. Daher packen sie ihre Teleskope seit einiger Zeit auf den Dobbenwiesen aus, viel dunkler und unverbauter geht es im Innenstadtbereich nicht. Wenigstens hat die EWE die Leuchtreklame an ihrem Gebäude in der angrenzenden Tirpitzstraße mittlerweile abgeschaltet – wohl nicht der Sterngucker zuliebe, aber die freuen sich trotzdem, denn das blaue Licht “hat sehr gestört”.
Trotz Wolken und Kälte kommen einige Interessenten vorbei. Drei Personen haben ein eigenes Teleskop mitgebracht, ein handelsübliches Gerät. “Ein Erbstück”, sagen sie. Die Sternfreunde beraten Besucher gerne, was den Umgang und die richtige Bedienung angeht, in diesem Fall aber können sie nicht helfen: Das kleine Suchfernrohr ist nicht parallel zum eigentlichen Teleskop ausgerichtet, und das lässt sich nur tagsüber machen – und ohne Suchfernrohr ist es nahezu aussichtslos, etwas am Himmel finden zu wollen. Stattdessen gucken die Leute durch die Geräte der Sternfreunde. Die Venus, immerhin.
Das für den Nichtfachmann erstaunlich kurze Teleskop von Große ist mit einem kleinen Steuerungscomputer verbunden; wenn es sich eigenständig mit hörbarem Surren auf einen bestimmten Punkt einstellt, sieht es ein kleines bisschen gruselig aus. Die Elektronik mit eingebauter Nachführung sei praktisch, um Objekte zu finden und im Blick zu behalten, erklärt er. Für so ein Gerät muss man um die 800 Euro anlegen, es geht auch darunter, aber dann muss sich der Hobbyastronom “in Geduld üben” – die Suche nach dem zu beobachtenden Himmelskörper kann, wenn man sie per Hand durchführen muss, recht knifflig sein. Er selbst besitzt auch noch ein größeres, das er sonst auch auf die Dobbenwiese mitbringt und mit dem sich auch schwächer leuchtende Galaxien und Nebel sehen lassen. An diesem Tag hat er es zu Hause gelassen – der Aufbau dauert eine halbe Stunde, und nach einem Blick aus dem Fenster war ihm klar, das sich das bei dieser Witterung kaum lohnen würde.
Das Gerät, das Sternfreund Martin Tanfal daneben aufgebaut hat, ist deutlich größer und weist Ähnlichkeit mit einer langgezogenen Trommel auf; es hat einen Durchmesser von acht Zoll und thront auf einer Art Pivot, das Okular sitzt am vorderen Ende. “Ein Dobson-System”, sagt Große. Es gibt eine ganze Palette an verschiedenen Bauarten, er erklärt detailliert die technischen Unterschiede und resümiert, dass letztlich “jedes Teleskop seinen eigenen Himmel” habe. So ein Dobson-Gerät sei heute schon fast ein Einsteigermodell, mit etwas Geduld lasse es sich auch selbst bauen, sagt Tanfal: “Das ist dann natürlich schon ein besonderes Gefühl.” Eine computerunterstützte Steuerung ist an das Gerät nicht angeschlossen, er richtet sich nach Sternkarten. “Das ist wie beim Straßenatlas”, sagt er, man navigiert von einem zentralen Orientierungspunkt zum nächstkleineren, bis man am Ziel ist; besser gesagt, es im Blick hat.
Bei all den Galaxienhaufen, farbenfrohen Nebeln und manchmal auch Kometen, die an klaren Tagen zu sehen sind, klingt Großes prägnantestes Beobachtungserlebnis ganz unspektakulär: Er habe gemeinsam mit einem Kollegen eine Abweichung eines Asteroiden bemerkt, “um zehn Bogensekunden” – das hätte gereicht, dass er “beim nächsten Umlauf nicht mehr wiedergefunden worden wäre”. Eine Ungenauigkeit aus der Zeit, als die Aufnahmen der Beobachtungsobjekte noch analog gemacht wurden: “Damals sind uns fünf Kleinplaneten verlorengegangen”, die aber inzwischen wiederaufgefunden worden sind. Heute lassen sich Digitalkameras einfach an das Teleskop anschließen – das Hubble für den Hausgebrauch.
Vor 20 Jahren wurde der Verein gegründet, knapp 50 Mitglieder hat er derzeit. “Es waren auch schon mal 75″, sagt Große – wie die meisten Vereine haben die Sternfreunde Nachwuchssorgen. Das Internet bietet wohl einen einfacheren Zugang zur Astronomie – und außerdem: “Wer friert schon gerne?” Denn die öffentlichen Beobachtungstermine finden ausschließlich im Winterhalbjahr statt, im Sommer wird es zu spät und zu wenig dunkel, erklärt Große. Erst im Oktober ist der nächste öffentliche Sterngucken angesetzt. Hoffentlich bei besserem Wetter, denn nun, eine gute halbe Stunde nach Beginn der Beobachtung, hat sich auch die Venus endgültig hinter die Wolken verzogen. Die Sternfreunde packen ein, bis zur nächsten Saison. Kleines Trostpflaster: In der Ausstellung “Meteoriten” im Landesmuseum Natur und Mensch geben Vereinsmitglieder Einblicke in die Hobbyastronomie – und in den kommenden eineinhalb Wochen sorgt der Lyriden-Strom für ein vermehrtes Aufkommen von Sternschnuppen. Und die sieht man auch ohne Teleskop.