„Alle brav“
Busfahren muss in Oldenburg ein gefährliches Unterfangen sein: Die VWG hat knapp 400 Überwachungskameras in ihren Bussen installiert. Und zur Einweihung des Systems kam hoher Besuch aus Hannover.
Mit nur fünf Minuten Verspätung, was für hohe Regierungsbeamte auf auswärtigen Presseterminen immer noch als überpünktlich zählen darf, rauscht Uwe Schünemann in die Kantine der Verkehr und Wasser GmbH, kurz VWG. Der Innenminister, diesmal ohne Dreitagebart, ist eigens aus Hannover angereist, um deren nagelneues „Videoschutzsystem“ offiziell in Betrieb zu nehmen. Hinter diesem bemühten Euphemismus verbirgt sich die Tatsache, dass von nun an alle 88 Linienbusse der Stadt mit je vier bis fünf Videoüberwachungskameras ausgestattet sind, deren Bilder live in die Leitstelle der VWG übertragen werden können.
Schünemann hält eine zehnminütige Ansprache, routiniert und flüssig, ohne Notizen. Er lobt die Stadt für ihre Präventionsarbeit im Allgemeinen und den Gastgeber für sein Sicherheitssystem im Besonderen. Es sei nicht nur eine Innovation, sondern geradezu eine „neue Innovation“, sagt der Minister, mit Betonung auf „neu“. Auch die Akzente, die man jetzt im Bereich der Prävention setze, seien neu. Und die betreffende Technik ja ohnehin, von der „derjenige profitieren soll, der in Not ist“. Der Name Dominik Brunner – der Mann, der an einer Münchner S-Bahn-Station totgeprügelt wurde – fällt geradezu unausweichlich. „Jugendkriminalität“, das sei ein zentrales Thema.
Auf den Einwand eines Journalisten, dass die vielen Kameras auf Bahnhöfen diese Vorfälle ja auch nicht verhindert hätten, gerät der Duktus des Ministers ein wenig ins Stocken, als er widerspricht: „Wenn man weiß, dass Aufnahmen gemacht werden, hat das präventiven Charakter.“ Ob man das an Zahlen festmachen könne? Nun ja, sagt VWG-Chef Michael Emschermann: Seit sie 2011 mit der Installation der Kameras begonnen hätten, habe es „keine nennenswerten Vorkommnisse gegeben.“ Kurz darauf: „Ist vielleicht ein bisschen früh für repräsentative Ergebnisse.“ Schünemann springt ihm zur Seite: „Wo es Videoüberwachung gibt, sind die Zahlen rückläufig.“
Die einzige konkrete Zahl, die für Oldenburg genannt wird, lautet 53: So viele „Straftaten jeder Couleur“ habe es 2011 gegeben, sagt der ebenfalls anwesende Polizeipräsident Hans-Jürgen Thurau, und bevor jemand anmerken kann, dass diese Zahl nicht so furchtbar hoch zu sein scheint, herrscht er vorsorglich den Journalisten an, er solle sich mal die Frage stellen, ob er „das eigene Kind lieber in einen Bus mit oder einen ohne Videoüberwachung einsteigen“ lassen wolle. Schünemann und Emschermann nicken ernst, sie wirken wie ein eingespieltes Team, scheinen sogar denselben asphaltgrauen Anzug zu tragen.
Es geht in den bereitgestellten Bus. Emschermann erklärt die Funktionsweise des Systems; Schünemann, der sich vielleicht fragt, wann er zuletzt Bus gefahren ist, schaut ihm mit ministerialer Miene dabei zu. In der verbauten Enge des Busses quetschen sich Kamerateams und Fotografen zwischen die Sitzbänke, um gute Aufnahmen zu bekommen; einer äußert den Wunsch, Emschermann, Schünemann und Thurau mögen doch bitte auf eine der dezent an der Decke installierten Kameras zeigen. Sie tun es tatsächlich. Kameras klicken. Datenschutzrechtlich sei alles abgeklärt, sagt Emschermann, die Aufnahmen würden nach 72 Stunden gelöscht, und ein Aufkleber an der Bustür weise auf die Kameras hin.
Letzte Station: Die Leitstelle, die ziemlich genau so aussieht, wie man sie sich vorstellt; mit einer Batterie Monitore auf einem bogenförmigen Schreibtisch, an den sich Schünemann setzt. Der Bus, in dem sich die Gruppe gerade die Kameras angeschaut hat, ist mittlerweile losgefahren, die Leitstelle schaltet sich live hinein. „Das ist sonst natürlich streng verboten“, erklärt Emschermann eilig, nur in Notfällen dürfe das geschehen. Etwa wenn sich der Bus untypisch bewege, auch das wird auf einem Bildschirm gezeigt, ein roter Punkt auf einem virtuellen Stadtplan. „Wir hatten ja mal vor ein paar Jahren den Fall mit der Busentführung“, und erneut nicken alle ernst. Busentführungen, das ist vielleicht ein weniger zentrales, aber wohl auch irgendwie wichtiges Thema.
„Und hier kann man dann zwischen den Kameras herumschalten?“, fragt Schünemann und greift zur Maus. Er hat die Funktionsweise sofort begriffen. Die Bilder aus dem Bus mit den VWG-Mitarbeitern zeigen indes nichts Besonderes. „Alle brav“, sagt der Minister. Doch plötzlich erklingt ein Alarmton. „Was ist das? Berichten Sie“, weist Emschermann einen Mitarbeiter an. „Ein Unfallsensor“, sagt der: „Die müssen noch ein wenig feinjustiert werden.“ Der Alarm, den der Fahrer im Notfall auslösen kann, klinge aber auch so.
99 Prozent der Fahrer hätten die Videoüberwachung begrüßt, sagt Emschermann, nur ganz wenige hätten sich kritisch geäußert, mit der Philosophie einer „schöneren Welt – aber so ist es leider nicht.“ Gekichere, nicht nur bei den Protagonisten, sondern auch bei den Journalisten. Die bitten Schünemann zum Abschluss, für ein Foto eine unmontierte Überwachungskamera in die Hand zu nehmen. Es ist alles drauf auf dem Bild: Der Minister, die Kamera, der Überwachungsbildschirm, das gequälte Presselächeln. Noch zwei Interviews für oeins und das RTL-Team, dann macht sich Schünemann auf den Rückweg, wie geplant nach einer Stunde. „Pünktlich wie die Busse“, scherzt er noch, aber die Oldenburger Pressevertreter sind bereits außer Hörweite. Sie hätten darüber lauthals gelacht.