Künstlerlandverschickung
Wenn sich die Bundestagsabgeordnete Christiane Ratjen-Damerau demnächst wieder auf den Weg nach Berlin macht, hat sie einen Sack voll Erde im Gepäck: Nachschub für ein umstrittenes Kunstwerk.
Über Hans Haackes Werk „Der Bevölkerung“ in einem der Lichthöfe des Berliner Reichstags ist im wahrsten Wortsinn Gras gewachsen. Der knapp 150 Quadratmeter große Trog, der mit Erde aus allen Wahlkreisen der Bundesrepublik gefüllt werden soll, ist mittlerweile, zwölf Jahre nach seiner Installation, ein Biotop, in dem mehr als 100 Pflanzen- und ein paar Tierarten leben – eingeschleppt von jenen Bundestagsabgeordneten, die sich bislang an dem Kunstprojekt beteiligt haben. Die Kontroverse um das Werk ist zwar nie so recht zu Ende gegangen – ob es nun die völkisch angehauchte Inschrift „Dem deutschen Volke“ am Portal des Berliner Reichstags konterkariert, wie es die einen sagen, oder ob es selbst eine Reminiszenz an Blut-und-Boden-Ideologie darstellt, wie es andere interpretieren, darüber kann man sich wohl auch heute noch trefflich streiten. Eine „skurrile Bundesgartenschau“ nannte der heutige Bundestagspräsident Norbert Lammert das Projekt seinerzeit; die F.A.Z. bezeichnete es gar als verfassungswidrig. Installiert wurde es erst nach einer Kampfabstimmung im Parlament, mit zwei Stimmen Mehrheit. Fest steht indes: Der Erdhügel wächst immer noch. Demnächst werden ihm wieder ein paar Schippen Oldenburger Boden hinzugefügt.
Rolf Künzel, Lehrer an der Fachoberschule für Gestaltung, hat das halbwegs eingeschlafene Kunstprojekt seinen Schülern schmackhaft gemacht. Als die liberale Abgeordnete Christiane Ratjen-Damerau 2010 für den Osnabrücker Carl-Ludwig Thiele in den Bundestag nachgerückt war, ergab sich die Gelegenheit, zum zweiten Mal Erde nach Berlin zu tragen – 2004 hatte die damalige SPD-Abgeordnete Gesine Multhaupt das schon einmal gemacht. Nach wie vor ist jeder neue Abgeordnete aufgerufen, Erde aus dem Wahlkreis mitzubringen – ein Ende der Aktion ist nicht festgelegt und der Hügel im Reichstag noch ausbaufähig -; und nach wie vor hat das Kunstwerk das Zeug zum Polarisieren: Thomas Kossendey (CDU) etwa hat sich nicht daran beteiligt, und Ratjen-Damerau berichtet, dass sie für ihr Vorhaben unlängst heftig von Oberbürgermeister Gerd Schwandner angefeindet worden sei.
Dabei ist der Hintergedanke ein hehrer: Angesichts dessen, wie in den vergangenen zwölf Jahren seit dem Aufbau des Kunstwerks „mit den Migranten und Flüchtlingen in diesem Land umgegangen“ worden sei und vor allem im Hinblick auf den Neonaziterror war die Idee aufgekommen, die Erde gezielt an Stellen zu entnehmen, die für das interkulturelle gesellschaftliche Miteinander stehen; an „Orten, an denen wichtige Arbeit für die Integration geleistet wird“, sagt Künzel mit Bezug auf das Haackesche Kunstwerk: „Die Politik soll eben ‚die Bevölkerung’ im Sinn haben, nicht nur die Deutschen.“ Unterstützt wird er von Ulrich Hartig vom Förderverein Internationales Fluchtmuseum; in der vergangenen Woche trafen sie sich zum dritten Mal mit Ratjen-Damerau, diesmal beim interkulturellen Gartenprojekt der Gemeinwesenarbeit Kreyenbrück – wo die Politikerin schön häufiger zu Gast war, wie Jutta Hinrichs vom Stadtteiltreff betont; es sei nicht bloß als PR-Termin zu verstehen.
Das meint auch Künzel: Neben dem Zeichen gegen Rechts gehe es auch darum, Distanzen und Vorbehalte zwischen Politikern und Bürgern abzubauen und Politik zugänglicher zu machen. Ein gutes Dutzend Gäste ist dabei, als die studierte Landwirtin Ratjen-Damerau zum Spaten greift und drei, vier Ladungen Oldenburger Scholle zu der bereits im Sack befindlichen schaufelt, die bei den zwei vorangegangenen Terminen gesammelt wurde. Auf dem Jutesack steht in schwarzer Schrift der Schriftzug „Der Bevölkerung“, der Name der Abgeordneten und des Wahlkreises. Neue Parlamentarier bekommen diese Säcke von der Bundestagsverwaltung zugeschickt, fix und fertig bedruckt, das hat alles seine bürokratische Ordnung.
In den nächsten Tagen und nach einer weiteren Entnahme wird Ratjen-Damerau den Sack mit in die Hauptstadt nehmen und in den Haackeschen Trog füllen, eine Gruppe von Künzels Schülern wird sie dabei begleiten. Die Politikerin möchte bei dieser Gelegenheit nicht nur Erde, sondern auch „Wünsche und Anregungen der Bürger“ mitnehmen, sagt sie im Kreyenbrücker Stadtteiltreff: In Berlin werde ansonsten ja bloß immer „auf die Interessen von Wirtschaft und Industrie geschaut“ und kaum auf die Sorgen der kleinen Leute. Ratjen-Damerau ist, das sei an dieser Stelle nochmal erwähnt, Mitglied der FDP.
Sorgen und Wünsche haben die anwesenden Zuwanderinnen – es sind fast ausschließlich Frauen vor Ort – durchaus. Die Sprachkurse reichten nicht aus, sagen die einen; die Nichtanerkennung ihrer Ausbildung treffe sie hart, die anderen. Und Jutta Hinrichsen vom Stadtteiltreff hat eine ganz konkrete Anregung: Die massive Kürzung der Mittel für das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ sollte noch mal überdacht werden. Am Programm, das die „Verbesserung der Lebensbedingungen in benachteiligten Stadtteilen“ zum Ziel hat, sind in Oldenburg das Kennedy-Viertel und eben Kreyenbrück-Nord beteiligt. Die Finanzierung sei allerdings von 95 Millionen Euro im Jahr 2010 dafür auf 28,5 Millionen heruntergefahren worden, beklagt Hinrichs – das reiche vielleicht für die eine oder andere Baumaßnahme, aber „für soziale Projekte bleibt da nichts übrig“.
Ratjen-Damerau nickt hier ernst, hat dort ein Lächeln parat, plaudert mit den Gärtnerinnen, lobt sie für ihre Deutschkenntnisse und betont den Stellenwert einer guten Ausbildung. An Anregungen, die sie mitnehmen kann, mangelt es nicht unbedingt. Ob sich die Landverschickung als politische Teilhabe der Bevölkerung herausstellt oder letztlich doch über den PR-Effekt nicht hinausgehen wird, werde sich zeigen, sagt Künzel. Immerhin werde Ratjen-Damerau jedes Mal, wenn sie den Haackeschen Erdtrog sehe, daran erinnert, was die Menschen ihr an diesem Tag gesagt haben. Und das wird oft geschehen, denn an „Der Bevölkerung“ vorbeizuschauen, ist in dem hohen Hause kaum möglich. Und vielleicht wächst dort ja demnächst auch Grünkohl.