Massentauglichkeit essen Elternschreck auf
Das weltgrößte Metalfestival steht vor der Tür: Anfang August werden wieder zigtausende Fans der härteren Gangart das kleine Dörfchen Wacken überrennen. Und im Gegensatz zu früher wird die Szene heute mit steigendem Wohlwollen in den Medien thematisiert. Was ist da passiert?
Ort: Eine Oldenburger Kneipe. Zeit: Späte 90er-Jahre, kurz vor Feierabend. Der Wirt versucht, rechtzeitig zur Sperrstunde eine größere Gruppe mutmaßlicher Sparkassen-Azubis mittels voll aufgedrehter Metalmusik aus der Kneipe hinauszukomplimentieren. Seine Wahl fällt auf eine Scheibe der brasilianischen Schlechtelauneknüppler von „Sepultura“, aber die angestrebte Wirkung bleibt aus: Die Jungbanker springen auf die Tische und schütteln ihre akkurat frisierten Kurzhaarschnitte – die Party geht für sie erst los.
Ein kleines, unbedeutendes Erlebnis, gewiss – aber dennoch eines, das zeigte, dass sich etwas geändert hatte im Verhältnis zwischen Sub- und Popkultur, zwischen eingängigem Radiogedudel und schweren Gitarrenriffs, zwischen braven Jungs und bösen Buben. Heavy Metal war salonfähig geworden, irgendwie und irgendwann. Aus der Schmuddelecke, in der er seine komplette Jugend verbrachte, ist der Metal längst heraus, er ist mit erklecklichen Teilen seiner Fangemeinde älter geworden, reifer, erwachsener – und, im Gegensatz zum Punk, quicklebendig. Ausdruck von jugendlicher Rebellion ist er heute zwar eher woanders, in Bagdad oder Jakarta; im satten Westen füllt er dafür Fußballstadien und sorgt dafür, dass 70.000 Schwermetaller Jahr für Jahr in ein kleines Dorf in Schleswig-Holstein einfallen; und mit ihnen Kamerateams, Zeitungsreporter und Dokumentarfilmer. Jedes überregionale Blatt, jede Nachrichtensendung wird Anfang August zumindest einmal über das Wacken Open Air berichten.
Das hat, wie in den kommenden Wochen noch öfter zu lesen sein wird, vor 22 Jahren mit gerade 800 Besuchern angefangen, die sich sechs Bands für zwölf Mark angeschaut haben. Dass das Festival seither immer größer wurde – heute sind es rund 120 Bands für 140 Euro –, mag als Spiegelbild einer Szene gelten, in der es enorm viel Bewegung gibt und in der zugleich vieles beim Alten zu bleiben scheint. Sie wächst geradezu biologisch: Es gibt kaum Nachwuchssorgen, weder bei den Fans noch bei den Bands, und auch die Altvorderen bleiben der Szene treu. „Es ist eine gewisse Bodenständigkeit“, die die Metalgemeinde ausmache und für ihre Stabilität sorge, meint Michael Rensen vom Musikmagazin „Rock Hard“: Während andere Szenen sich irgendwann aufgelöst hätten, seien „Metalfans mehr mit ihren eigenen Wurzeln verhaftet, sie interessieren sich wenig für Trends und Hypes und bleiben gerne bei ihren Lieblingsbands“.
Gruppen, die sich jahrzehntelang vom Studio auf die Bühnen und zurück schleppen, scheinen im Metal häufiger anzutreffen zu sein als anderswo. Iron Maiden etwa – die Briten haben in dreißig Jahren fünfzehn Studioalben vorgelegt, sind zwischendurch dauernd auf Welttournee und wirken dabei lebendiger als ihr Maskottchen „Eddie“. Auch die deutschen Speedmetaller von Helloween, die ihre große Zeit in den 80ern hatten, weigern sich standhaft, in die ewigen Powerchordgründe einzugehen. Und an einer Band wie Kiss, die immer noch in jenem heute ein klein wenig albern wirkenden Outfit auftritt, in dem sie in den 70ern Eltern erschreckt hat, können sich die damaligen Kids heute mit ihrer eigenen Nachkommenschaft freuen, denn Metal funktioniere sogar generationenübergreifend, sagt Rensen: Im Gegensatz zu anderen Subkulturen sei es hier „nicht peinlich, mit seinen Eltern auf ein Konzert zu gehen.“
Aber dennoch gibt es auch Wandel. Die aufnäherübersäten Jeansjacken der 80er sind größtenteils verschwunden, die schwer entzifferbaren Bandlogos geblieben; ebenso die Vorliebe für schwarze Kleidung – dafür sind lange Haare nicht mehr zwingend nötig. Sogar das klassische Line-up einer Metalband – zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug – gilt nur noch bedingt. Beinharte Gruppen wie Ministry oder Tiamat bedienen sich an Synthesizern und Computerklängen, und um das früher oft verpönte Keyboard haben sich mittlerweile eigene Subgenres gebildet. Deren Zahl hat in den vier Jahrzehnten seit Aufkommen des Heavy Metal, damals noch ein undifferenzierter Sammelbegriff, ohnehin ein kaum mehr überschaubares Niveau erreicht. Man unterscheidet nicht bloß zwischen Death-, Black-, Speed- oder Thrash Metal, sondern auch zwischen Glam-, Melodic- und Symphonic Metal, zwischen Nu Metal und Post-Metal, irgendwann kamen Metal- oder Mathcore oder Folk Metal mit den Sub-Subgenres Pagan-, Celtic- oder Viking Metal dazu. Und so weiter.
Zugleich liest sich die Liste der am häufigsten in Fanpublikationen genannten Bands, die der Musikwissenschaftler Dietmar Elflein für seine 2010 erschienene Untersuchung „Schwermetallanalysen“ zusammengetragen hat, genauso wie vor einem Vierteljahrhundert: Megadeth. Judas Priest. Slayer. Black Sabbath. Und natürlich Metallica, zweifellos eine der prägenden Formationen des Genres und vielleicht auch die Band, an der sich dessen Entwicklung am besten festmachen lässt: Zu Beginn ihrer Karriere eine Thrash-Combo mit nicht zu überhörenen Anklängen an den seinen Höhepunkt überschritten habenden Punk; dann schrittweise Perfektionierung zu einer der einflussreichsten Bands, an der man als Fan nicht vorbeikam; irgendwann musikalisch zwei Gänge runtergeschaltet, die Haare abgeschnitten und mit juristischen Schritten gegen die Musiktauschbörse Napster einen Teil der Fans verprellt. Schließlich Rückbesinnung auf den alten Sound und heute erfolgreicher als je zuvor.
Metal stellt mittlerweile einen „wichtigen Teil des Mainstreams der multinationalen Musikindustrie“ dar, schreibt Elflein. In diesem Kosmos ist es nichts Ungewöhnliches mehr, wenn sogar, wie 2011, ein Album der schwedischen Todesmetaller In Flames vorübergehend an der Spitze der Charts auftaucht, einfach so – über Erstplatzierungen von Rammstein, AC/DC oder eben Metallica wundert sich ohnehin niemand mehr; zu Rammstein-Konzerten pilgern in den USA Zigtausende Fans und grölen die Lieder mit, mutmaßlich ohne ein Wort zu verstehen und AC/DC ist mittlerweile offiziell verteidigungsministertauglich. Sogar die „Bild“ übertitelt einen Artikel mit der Zeile „So heavy wird der Metal-Sommer!“ und stellt „die zehn härtesten Festivals vor“. Vielleicht auch deshalb, weil das reichweitenstärkste Szenemagazin, die „Metal Hammer“, zum Springer-Verlag gehört.
Bis vor gar nicht langer Zeit hatte sich die mediale Präsenz des Metal im Wesentlichen in alarmierenden Berichten über das angeblich zerstörerische Potential der Musik erschöpft, über blutrünstige Satanisten unter den Black- und lebensmüde Teenies unter den Death-Metal-Fans. Solche Zusammenhänge zwischen Gewalt und Gitarren konnte die Wiener Musikwissenschaftlerin Sarah Chaker längst widerlegen und räumte auch mit dem Vorurteil auf, es handele sich um den Sound der Unterprivilegierten – tatsächlich wies sie einen überdurchschnittlichen Bildungsstand unter den Headbangern nach. Allerdings trifft es nach wie vor zu, dass Metal eine Domäne der Männer ist, genauer gesagt weißer Männer – Frauen sind in der Fanszene in der Minderheit, unter den Musikern muss man sie mit der Lupe suchen.
Von allen Subkulturen, die einmal aus Wut entstanden sind, ist Metal die langlebigste und vielfältigste geworden. Es ist die musikalische Sprache und die nach wie vor gepflegte Selbstwahrnehmung des Außenseitertums, die die Szene weltweit verbindet; ein „glokalisierter Musikstil“, wie Elflein schreibt. Wenn eine Band wie Amon Amarth ihre romantisch-glorifizierenden Vorstellungen von Wikingerraubzügen und Kriegerethos ins Mikrofon brüllt, funktioniert das nicht nur in Schweden, sondern auch in Mexiko. Und natürlich in Wacken, wo die Death-Metal-Band zu den Top-Acts zählt und die Veranstalter solche Berührungspunkte zur Rollenspielerszene nutzen, gleich ein paar Mittelalterbands mehr einzuladen und ein Mittelalterdorf („Wackinger Village“) aufzubauen. Man probiere beim Drumherum öfter mal etwas Neues aus, sagt Veranstalter Thomas Jensen: „Wir wollen ja nicht langweilig werden.“ Es gebe zwar auch hin und wieder Kritik an der fortschreitenden Kommerzialisierung, aber das ficht die Wacken-Organisatoren nicht an: „Wir sind in engem Dialog mit den Fans, die gestalten die Entwicklung mit.“ Außerdem werde an Erfolgsgeschichten in Deutschland sowieso gerne “herumgemäkelt“, sagt Jensen.
Wie und wann es allerdings nun dazu gekommen ist, dass Metal massentauglich genug wurde, dass ein Dokumentarfilm über ein Szenefestival derart erfolgreich sein konnte wie „Full Metal Village“ der Koreanerin Cho Sung-hyung im Jahr 2006 – dazu kann auch Jensen nur Vermutungen anstellen. Irgendwann seien die Medien „am Thema wohl einfach nicht mehr vorbeigekommen“. Den Film findet er gut, allerdings habe der eigentlich nicht allzu viel mit Metal zu tun, sagt er. Mit Wacken eigentlich auch nicht, fügt er nach kurzer Überlegung hinzu. Eine einfache Erklärung für die mediale Präsenz des Metals hat der stellvertretende Chefredakteur der „Rock Hard“: Die Leute, die vor 20, 30 Jahren Metal gehört haben, „sitzen heute in Positionen, in denen sie etwas zu melden haben, zum Beispiel in Pressehäusern“, sagt Michael Rensen. „Metal ist jetzt kein reiner Underground mehr.“
Vielleicht sehen einige der Wacken-Besucher das anders. Aber es spielt eigentlich auch keine große Rolle, sagt Rensen – was die Feuilletons zu sagen haben oder die Nachrichtenmagazine über Wacken schreiben, interessiere die Metalheads erfahrungsgemäß nicht besonders. Wichtig ist, wie immer, allein die Musik, ihre Musik; vier Tage lang, gespielt von weithin unbekannten Formationen bis hin zu Urgesteinen wie Saxon; Testament oder den Scorpions… Moment, die Scorpions? Jawohl. Die Ledertruppe aus Hannover, die von der bundesdeutschen Medienwelt in den Achtzigern hochoffiziell zur ersten gesellschaftlich anerkannten Hardrock-Band auserwählt wurde. Und über deren weichgespülte Balladen sich wahre Headbanger damals bestenfalls lustig gemacht haben.
Es hat sich eben doch etwas geändert.