“Und schwups, kommt unten Gemeinwohl raus”

Hossa! Oldenburg ist mal wieder in irgendeinem Städteranking ganz weit vorne gelandet. Wen interessiert es da, wer eigentlich hinter diesem Ranking steckt? Nun ja – uns.

Niedriglohn heißt bei der INSM "Einstiegslohn". BILD: flickr/INSM

Niedriglohn heißt bei der INSM “Einstiegslohn”. BILD: flickr/INSM

Die Jubelarien waren vorhersehbar: „Tolle Bewertung für Oldenburg“, schrieb das Pressebüro der Stadt; Oldenburg sei eine „Vorzeigestadt“, hieß es beim NDR, „Oldenburg besonders dynamisch“ titelte die NWZ, Welt online sprach gar von einer „Wohlstandsexplosion“. Tatsächlich schneidet Oldenburg in einem der zusehends häufiger vorkommenden Städterankings positiv ab, als Zweitdynamischste unter den 50 größten deutschen Städten. Alle – bis auf die Welt – schreiben auch, wer dieses Ranking vorgelegt hat: Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, kurz INSM. Aber wer ist das überhaupt?

Lassen wir dazu zunächst die Wirtschaftsexperten aus der mittlerweile eingestellten ARD-Soap “Marienhof” in Folge 1938 zu Wort kommen:

[Jenny:] „Ich habe einen Job!”
Matthias: „Bei dieser Zeitarbeitsfirma?”
Jenny: „Nicht nur einen Job! Eine richtig feste Anstellung, Schwerpunkt Verkauf und Akquise! Und das beste ist, völlig flexible Arbeitszeiten und wenn ich mal nicht kann, wegen der Kinder oder so, dann schicken die einfach einen Kollegen und die Kernarbeitszeit kann ich auch selbst bestimmen! Ich bin sozialversichert, kriege Urlaubsgeld und ein 13. Monatsgehalt. Und durch die unterschiedlichen Einsätze ist Abwechslung garantiert!“
Quelle: unredigierter Auszug aus dem Originalscript, via Lobbycontrol

Zeitarbeit, so wird den zumeist jungen, unbedarften Zuschauern hier eingeflüstert, biete mithin also durchaus gute Perspektiven, ach was: sogar viel bessere Aussichten als normale Jobs, wegen der Flexibilität und Abwechslung und so; tolle Sache, das. Ins Drehbuch hineingetextet worden sind diese und weitere verdächtig wirtschaftsnahe Zeilen nicht von den üblichen Autoren, sondern von – der INSM. Kostenpunkt: 58.670 Euro. Ein Klacks für die Initiative, die von ihren Trägern, den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie, mit einem Jahresetat im hohen einstelligen Millionenbereich versorgt wird.

Mit diesen und anderen Mitteln versucht der neoliberale Thinktank, seine Vorstellungen einer freien kapitalistischen Ordnung, in der der Staat weitestgehend zurückgedrängt werden müsse, in die Bevölkerung hineinzutragen. Und kann da gar nicht früh genug ansetzen, denn die INSM trägt ihre marktradikale Ideologie nicht nur bis zum Fernsehsessel, sondern bis in die Schulen hinein.

Sie betreibt dazu ein eigenes Webportal namens „Wirtschaft und Schule“, auf dem sie „Lehrerinnen und Lehrer bei der Vorbereitung ihres Unterrichts zum Thema Wirtschaft“ Unterstützung anbietet: „Dazu stellt die Internetseite Unterrichtsmaterialien, aktuelle redaktionelle Beiträge und weitere Angebote – zum Beispiel Exkursionsvorschläge und Literaturtipps – kostenlos zur Verfügung.“ Ein Bericht des TV-Magazins „Monitor“ zeigte 2005 ein solches Lehrblatt, in dem ganz offen vom „gefräßigen Sozialstaat“ die Rede ist, direkt daneben steht etwas von einer „neuen Pleitewelle“ und von „Unternehmen unter Kostendruck“ – als gäbe es da einen unmittelbaren Zusammenhang.

Hefte raus, wir schreiben einen Test!

Anderes Beispiel, wahllos herausgegriffen: Thema „Die Lohnabrechnung“ für Sekundarstufe I, Haupt- und Realschule.

„Tobi wundert sich jedoch, was am Ende noch als (3)_____________________________ für ihn übrig bleibt. Und was ist mit dem ganzen Rest? Das muss er sich genauer anschauen.“ [In der Lösung der Aufgabe heißt es dann abschließend folgerichtig:] „Und dann sind da noch die gesetzlichen Sozialversicherungen. Dazu zählt die Krankenversicherung als Absicherung gegen Krankheiten, die Pflegeversicherung für den Fall, dass er pflegebedürftig wird, die Rentenversicherung. Und um im Falle von Arbeitslosigkeit abgesichert zu sein, zahlt Tobias zudem auch in die Arbeitslosenversicherung ein. Tja, und wenn all diese Beträge abgezogen sind, bleibt Tobias sein Gesetzliches Netto.“

Der empörte Subtext ist kaum zu überhören. In ihrer Studie „Wem gehört die ökonomische Bildung?“ befassten sich die Soziologen Lucca Möller und Reinhold Hedtke von der Uni Bielefeld mit derartigen Einflussnahmen interessierter Wirtschaftskreise auf die Lehrpläne. So heißt es im von der ISNM erarbeiteten „Schnupperkurs in Sachen Ökonomie“ etwa:

„Wir könnten uns zur Abwechslung einmal dazu durchringen, das Konzept der Marktwirtschaft auch wirklich umzusetzen – und nicht immer nur eine abgespeckte Variante davon. Mehr Marktwirtschaft, das hieße vor allem: weniger Staat. [...] Man ist weder Moralapostel noch Neoliberaler oder gar ein Gegner des Staates, wenn man die wahnwitzige staatliche Umverteilung an den Pranger stellt.” Diese “Wahnwitzigkeit” macht die INSM zwei Sätze später an einem geradezu klassischem Klischee fest:Und unser aller Geld ist es auch, mit dem es sich zum Beispiel jene junge Frau gutgehen lässt, die seit Jahren jeden Job ablehnt und in einem RTL-Magazin auch noch damit prahlte, sie mache halt „einen auf Hartz IV“, arbeite „noch ’n bisschen schwarz“ und verbringe ansonsten etliche Monate im Jahr an der Südküste der Türkei – wo sie sich, jung und hübsch wie sie ist, ebenfalls auf Kosten anderer Leute durchs Leben schmarotzt.” Und wo man es besser mache, weiß die Initiative ebenfalls: “In Großbritannien und den USA sind diese Rechte [gemeint sind Freiheits- und Eigentumsrechte] geradezu heilig, in Deutschland aber werden sie schon vom Grundgesetz drastisch eingeschränkt: In Artikel 14 Absatz 2 heißt es: ‚Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.’ Zugegeben, dieses Gebot ist ohne Zweifel gut gemeint, doch von einer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung zeugt es nun wirklich nicht.“

Oder, kurz gefasst für die aufsässigeren Schüler, die unbedingt danach fragen müssen, wo denn da das Gemeinwohl bleibe: „Man kippt oben Eigeninteresse hinein – und schwups, kommt unten Gemeinwohl heraus.“ Ein vielsagendes Bild.

Übrigens taucht in dieser Studie auch das Oldenburger Institut für ökonomische Bildung (IÖB) des Wirtschaftsprofessors Hans Kaminski auf, dessen Vorstellung von Wirtschaftsbildung demnach in eine ähnliche Richtung gingen. Auf die Studie von Möller und Hedtke reagierten die Oldenburger Ökonomen entsprechend gallig, kanzelten sie als „Wissenschaft light im Forschungskleid“ ab und attestierten Hedtke „politische Agitprop-Methoden“.

[kommentar]Kommentar
Redaktioneller Kurzschluss
Die Zahlen aus dem INSM-Werk, die zum Großteil auf Daten des Statistischen Bundesamtes und von Marktforschungsinstituten basieren, sind wohl nicht falsch. Und natürlich ist es erfreulich, wenn Oldenburg ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum vorweisen kann. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob der undifferenzierte Beifall aller möglichen Medien nicht eher über das redaktionelle Rückenmark gelaufen ist als über den Verstand. Der Tenor lautet: Hurra, wir sind oben; das kann doch nichts Schlechtes sein. Wenn das Erzeugen eines wohligen Gefühl bei Lesern und Zuschauern aber höher rangiert als ein kritischer Blickwinkel auf die Hintergründe, wirft das Fragen auf. Eine dieser Fragen könnte, nein, müsste sogar lauten: Wenn eine Institution wie die INSM die Entwicklung in Oldenburg so super findet – könnte das dann nicht vielleicht auch ein Grund sein, sich Sorgen zu machen? Maik Nolte[/kommentar]

Immerhin: Die „Marienhof“-Geschichte bezeichnete der damalige INSM-Geschäftsführer später, im Herbst 2005, gegenüber der netzeitung als „Fehler“ – man habe angesichts „vieler Vorurteile“ das Thema Zeitarbeit populär machen wollen. Man darf indes wohl ruhigen Gewissens davon ausgehen, dass dieses Fehlerbewusstsein vor allem daher rührte, dass die gekauften Dialogzeilen dem Institut äußerst negative Schlagzeilen einbrachten, denn gegenüber Lobbycontrol hatte man sich zuvor noch selbstbewusster gegeben: Die Eingriffe hätten doch „dem Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ entsprochen.

Sozialstaat ist Schtonk

Im Zentrum – nein, eigentlich müsste es heißen: im Visier – der PR-Arbeit der INSM steht vor allem der Sozialstaat. In ihrem eigenen Duktus klingt das so: „Hilfe zur Selbsthilfe stärken. Ansprüche auf Rundum-Absicherung sind auch in einer Sozialen Marktwirtschaft schwer finanzierbar. […] Die INSM will das Soziale nicht abschaffen, sondern bewahren. Das geht nach unserer festen Überzeugung aber nur, wenn unsere Sozialsysteme durch Reformen in einen Zustand versetzt werden, in dem sie nachhaltig funktionieren und zukunftsfest werden.“ Wie ein solch zukunftsfestes Modell aussehen könnte, beschreibt der Wirtschaftsprofessor Andreas Freytag in der von der INSM herausgegebenen Publikation “Was ist neu an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft?” am Beispiel der “negativen Einkommensteuer”, die er als “geeignete Alternative zur Lösung des Problems” ansieht:

„Konkret bedeutet es, dass in diesem Beispiel bei einem Einkommen von 0 Euro monatlich 300 Euro Transferzahlungen an den Bürger fällig wären. Dieser Betrag würde für jeden zuverdienten Euro um 30 Cent reduziert, bis der Steuerpflichtige 12.000 Euro verdient. Danach wäre auf jeden zuverdienten Euro eine Steuerlast von 30 Cent fällig.“

Selbst wenn die genannten Zahlen als bloße Modellrechnung angesehen werden, ist es doch erstaunlich, in welchen Dimensionen diese “Neuen Sozialen Marktwirtschaftler” denken und welche Diskrepanz zwischen der Höhe von Transferleistungen und der eines steuerpflichtigen Gehalts ihnen in den Sinn kommen.

Die Protagonisten der Initiative werden mitunter noch deutlicher. Geschäftsführer Hubertus Pellengahr schreibt im Vorwort zur INSM-Publikation „Wege zur Vollbeschäftigung“: „Die Wege dorthin erfordern Flexibilität und keine Regulierung. Sie beruhen auf Tarifautonomie und nicht auf Mindestlöhnen.“ An anderer Stelle schimpft er: „Noch nie war der Sozialstaat so teuer und zugleich die Erwartungen an ihn so groß. Erfolgreich und effizient ist er deshalb aber nicht.“ Pellengahr, ehemaliger Sprecher des Hauptverbands Deutscher Einzelhandel, ist auch im orwellschen Neusprech talentiert. Den wuchernden Billiglohnsektor etwa – die INSM redet in diesem Zusammenhang übrigens lieber von “Einstiegslöhnen” – formuliert er so: „Darüber hinaus hat auch die Lohnspreizung deutlich zugenommen, was die Beschäftigungssituation von gering Qualifizierten verbessert hat.“

Kurz gesagt: „Sozial ist, was Arbeit schafft“ – als Urheber dieses vielzitierten Slogans gilt ebenfalls die INSM; das heißt, wenn man in dieser Urheberrechtsfrage den rechtsextremen Pressezaren Alfred Hugenberg außer Acht lässt, der 1933 mit dem Spruch „Sozial ist, wer Arbeit schafft“ um Stimmen warb, als seine Deutschnationale Volkspartei DNVP als Steigbügelhalter Hitlers in den Kehrichthaufen der Geschichte einging.

Manchmal wiederum meldet sich die Initiative gar nicht erst selbst zu Wort, lässt aber auf andere Weise ihre Muskeln spielen. Im Wahlkampf 2005 hatten mehr als 240 Ökonomen – auch der Oldenburger Kaminski – den „Hamburger Appell“ veröffentlicht, in dem es unter anderem hieß: „Deshalb sind die Arbeitskosten ein Schlüssel zur Überwindung der deutschen Wachstumsschwäche. Wer behauptet, Deutschland könne und müsse ein Hochlohnland bleiben, handelt unredlich oder ignorant. Millionen von überwiegend gering qualifizierten Arbeitslosen finden seit Jahrzehnten zu den herrschenden Löhnen keine Beschäftigung […].“ Die INSM hatte diesen Appell seinerzeit mit einer großangelegten Anzeigenkampagne zur Bundestagswahl unterstützt. Gleich mehrere Webseiten bieten Links auf eine entsprechende Unterseite der INSM-Internetpräsenz, die aber offenbar nicht mehr existiert.

Ist noch Platz auf dem Sofa?

Vor allem aber übt die INSM erheblichen Einfluss auf die Medien aus. Das ARD-Magazin “Monitor” zitierte aus einem entsprechenden Fax, das an verschiedene Redaktionen ging: “Der TV-Redaktionsservice der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) produziert sendefertige Beiträge, stellt O-Töne und Schnittbilder zur Verfügung und vermittelt Interviewpartner.” Sie versorgt auch Printredaktionen mit Ansprechpartnern, fertigen Texten und Berichten – und eben mit solchen Statistiken wie dem nun vorgelegten „Städteranking“, die dann gerne als neutrale Studien kolportiert werden. Sie beliefert im besonderen den Polit-Talk-Betrieb mit “Experten”, die auf den Studiosofas Platz nehmen und INSM-Thesen propagieren, freilich ohne dass diese Verbindung den Zuschauern mitgeteilt wird. Ein weiteres ARD-Magazin, in diesem Fall „Plusminus“, hatte im Wahljahr 2005 festgestellt, dass teilweise gleich drei INSM-Akteure in einer einzigen Sendung auftraten. Die Macher des Beitrags sprachen von „systematischer Umerziehung“ und ließen den Pressesprecher der Initiative zu Wort kommen: „Das muss man doch vielleicht ändern können, dass das, was wir als notwendige Reformen erkennen, auch von den Mitbürgern als eine positive Reform akzeptiert wird.“ Was die INSM als “notwendige Reform” ansieht, zielt laut dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie auf eine „Entstaatlichung auf allen Ebenen“, auf „weniger Sozialstaatlichkeit, mehr kapitalistische freie Marktwirtschaft“.

Der wirtschaftsfreundliche Ansatz ist kaum verwunderlich, wirft man einen Blick auf die Außendarsteller der Initiative, deren Vorsitz Wolfgang Clement führt – ehemaliger SPD-Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens und bis 2005 „Superminister“ für Wirtschaft und Arbeit im zweiten Kabinett des Bundeskanzlers Gerhard Schröder, Vollstrecker der Hartz-Gesetze und später Atomlobbyist für die RWE. Zu den „Botschaftern“ der INSM zählt etwa der ehemalige CDU-Fraktionschef, zeitweilige Beinahe-Finanzminister und selbsternannte „Leitkultur“-Beauftragte Friedrich Merz, der einst einen Hartz-IV-Satz von 132 Euro für absolut ausreichend hielt, während er sich selbst als West-LB-Verkäufer ein Salär von 5.000 Euro genehmigte – pro Tag, wohlgemerkt.

Auch der Ex-Chef der Bundesagentur für Arbeit, Florian Gerster, gehört zur INSM – eben jener Florian Gerster, der in dieser Funktion als oberster Verwalter des Arbeitsmarkts gleich doppelt soviel verdiente wie sein Vorgänger, sich drei Dienstwagen leistete, Millionenbeträge zur Imagepflege ausgab und zugleich über das „überzogene Anspruchsdenken“ der Arbeitslosen meckerte. Und Ex-Bundesbankchef Hans Tietmeyer, bis 2008 Aufsichtsrat der skandalumwitterten Hypo Real Estate, den die Kanzlerin trotzdem zum offiziellen Finanzberater machen wollte – allerdings erfolglos. Im Handelsblatt führte Tietmeyer mal eine Kolumne, in der er unter der Überschrift “Was heißt heute sozial?” Sätze schrieb wie „Die notwendige soziale Sicherung darf nicht in erster Linie eine Frage der guten Absichten sein.“ Oder: „Der Sozialstaat ist aber bei uns im Laufe der Jahre zu einem Wohlfahrtsstaat geworden, der die Menschen bevormundet, ihnen immer mehr Lasten aufbürdet und immer weniger Gestaltungsmöglichkeiten lässt.“ Und, natürlich: „Sozial ist heute vor allem, was mehr Beschäftigung schafft.“ Siehe oben.

Sogar der Historiker Arnulf Baring ist INSM-Botschafter, was erklären dürfte, warum er zeitweise eine für einen Geisteswissenschaftler überraschend starke Präsenz in einer ganzen Reihe von Polit-Talks zeigte. Wie alle anderen wurde er jedoch nie als Vertreter der Initiative vorgestellt.

Super Oldenburg

Was bedeutet es nun, wenn Oldenburg im Ranking einer solchen Initiative gut abschneidet?

Zunächst: Durchgeführt wurde die Studie von IW Consult, einem Teilbereich des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, mit dem die INSM praktischerweise im selben Bürogebäude sitzt und das bisweilen nicht nur eine „massive Umverteilung von oben nach unten“ beklagt, sondern sich auch zur von der Süddeutschen Zeitung aufgedeckten Schönfärbung des Armutsberichts durch die Bundesregierung wie folgt äußerte: „Aktuelle Zahlen aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) bekräftigen, dass das Mantra ‘die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher’ nicht stimmt.“

Diese beiden Institutionen, die eine ganz eigene Vorstellung von sozialem Gemeinwesen haben, bewerten nun also gemeinsam mit dem Magazin Wirtschaftswoche zum neunten Mal die 50 größten deutschen Städte nach … ja, was, eigentlich? Nach – das sei vorangestellt – beinahe ausschließlich wirtschaftlichtsrelevanten Gesichtspunkten. Das gilt sowohl für das „Niveau“- als auch für das „Dynamik“-Ranking, denn die INSM hat nicht nur eine, sondern gleich zwei Tabellen erstellt, und Oldenburg – das mag im Triumphgeheul der vergangenen Tage etwas untergegangen sein – schneidet nur in letzterer auf Rang 2 ab. Beim “Niveau”, dem Ist-Zustand, landete die “Übermorgenstadt” mit Platz 18 unter “ferner liefen”.

Kurz zusammengefasst und leicht überspitzt lässt sich sagen: In der Studie spielt die kommunale Wirtschaftsförderung eine Rolle, die kommunale Obdachlosenzahl nicht. Gewerbesaldo ist wichtig, Kulturangebot nicht. Die Zahl der Hochqualifizierten und der Schulabbrecher wird als Maßstab genommen, die Zahl der gemeinnützigen Vereine nicht. Die Stärken Oldenburgs im “Niveau”-Ranking sind allesamt wirtschaftskonnotiert: Positiv wird der Gewerbesteuerhebesatz verbucht – ein von der Kommune festzulegender Satz zur Bemessung der Steuereinnahmen, für den, vereinfacht gesagt, gilt: Je niedriger, desto günstiger. Die weiteren Pluspunkte resultieren aus Umfragen, die nicht etwa unter der Bevölkerung, sondern bei Unternehmen durchgeführt wurden. Auch die ausgemachten Schwächen wirken in ihrer ökonomischen Spezialisierung teils eher eigentümlich: Inwieweit das Niveau einer Stadt davon abhängt, dass von 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nur zwei Ingenieure sind, erschließt sich nicht unbedingt.

Wenn man für den Moment einmal die Frage ausklammert, ob es überhaupt sinnvoll ist, soziale, ökonomische und infrastrukturelle Faktoren von 50 Städten, die sich in ihrer Größe, ihrem regionalen Kontext und ihrer gewachsenen Struktur fundamental voneinander unterscheiden, mittels eines nackten Zahlenwerks vergleichen zu wollen, bleibt die Frage, warum Oldenburg trotz zahlreicher mittelprächtiger Werte im “Dynamik”-Ranking unterm Strich so gut abschneidet. In nur fünf der 18 Kriterien dieses Rankings belegt Oldenburg einen Rang innerhalb der Top Ten, beim Punkt „Schulabgänger ohne Abschluss“ etwa oder dem „Altersquotienten“ steht die Stadt nach Ansicht der INSM nicht gerade besonders gut dar. Für das gute Gesamtabschneiden dürften daher andere Kriterien stärker gewichtet worden sein: Das „Beschäftigungswachstum“ etwa, das ja immer auch Wirtschaftswachstum bedeutet. Der Anteil der „Hochqualifizierten“, das „verfügbare Einkommen“, sogar die “Aufklärung von Straftaten” – inwieweit die allerdings als Ausweis für Wirtschaftsdynamik taugt, bleibt wohl das Geheimnis der INSM. Die der Natur der Sache entsprechend sehr mathematisch geprägte Methodik  lässt sich hier nachzulesen.

Die tatsächliche Aussagekraft und Verwertbarkeit eines solchen Rankings sei dahingestellt; über die Zahlen dürften die entsprechenden Stellen der Stadtverwaltung auch ohne INSM gut genug informiert sein. Eines jedenfalls ist nicht von der Hand zu weisen: Die marktradikale Initiative hat es einmal mehr geschafft, ein breites und positives Presseecho zu bekommen. Die Aussage, dass in den Medien “Kinder und Tiere immer gehen”, ist längst überholt – in diesen Zeiten funktionieren Rankings genauso gut. Und warum sollte eine erfolgreiche Strategie, die im Wahlkampf 2005 gar dazu führte, dass Angela Merkel die Kompetenz ihres Schattenfinanzministers Paul Kirchhof explizit mit dessen Würdigung als “Reformer des Jahres” durch die INSM hervorgehoben hatte, nicht auch im Kleinen gehen?