“Das muss man durchstehen”
Nur noch drei Oldenburger sind im 17. Niedersächsischen Landtag vertreten. Linke-Fraktionschef Hans-Henning Adler wird nach der Wahlniederlage seiner Partei nicht mehr dabei sein – im Lokalteil-Interview blickt er zurück auf die Niedersachsen- und voraus auf die Bundestagswahl.
Herr Adler, die Linke musste in Niedersachsen eine deftige Niederlage einstecken. Woran lag’s?
Eine Ursache ist, dass wir unfreiwillig Leihstimmen an SPD und Grüne abgegeben haben. Viele Menschen haben uns an den Wahlkampfständen gesagt: Wir finden eure Arbeit eigentlich ganz gut, aber die FDP und McAllister wurden jetzt wieder so starkgeschrieben, dass wir um den Regierungswechsel fürchten – und deshalb dann doch lieber Rot-Grün die Stimme geben. Aus so einer Dynamik – wenn die Parole eines Kopf-an-Kopf-Rennens ausgegeben wird – kommt man ganz schwer raus.
Das ist auch erst in den letzten zwei Wochen vor der Wahl passiert, vorher sah es ja so aus, dass SPD und Grüne eine deutliche Mehrheit hätten. In dieser Konstellation hätten wir bessere Chancen gehabt – bundesweit stehen wir bei sieben bis acht Prozent, wenn man das angesichts unserer Stärke im Osten auf Niedersachsen herunterrechnet, wären das immer noch fünf Prozent. Aber so sind wir zwischen die Mühlsteine geraten.
Gilt die Linke für einige Wähler also als Hemmnis für einen Politikwechsel? Bei einigen Wahlergebnissen der letzten Jahre hat das Fünf-Parteien-System dazu geführt, dass weder CDU und FDP auf der einen noch SPD und Grüne auf der anderen Seite eine Mehrheit zustande bekommen haben und es letztlich auf eine große Koalition hinauslief, die ja zumeist niemand will.
Einige denken sicherlich so. Wir müssen unsere eigenständige Bedeutung klarmachen, die wie in diesem parlamentarischen System haben. Wenn wir nicht dabei sind – ja, was wird denn dann passieren? Rot/Grün haben wir ja schon gehabt, dabei sind Hartz IV und Steuererleichterungen für die Reichen herausgekommen.
Der Wahlkampf in Niedersachsen wurde ja von vielen Seiten als Lagerwahlkampf geführt und bezeichnet – Schwarz/Gelb gegen Rot/Grün. Sehen Sie die Gefahr, dass das bei der Bundestagswahl ähnlich laufen und die Linke erneut unter die Räder geraten wird?
Ich denke, aufgrund unserer Stärke im Osten sind wir da aus der unmittelbaren Gefahrenzone heraus. Da kann man schon davon ausgehen, dass die Stimme für die Linke keine verlorene sein wird.
Wir stehen für eigene Inhalte und haben ja auch eine Art Wächterfunktion für die Versprechungen von SPD und Grünen. Die haben ja praktisch unser gesamtes Programm übernommen – alles, was wir im Landtag einbringen, haben die mit zeitlicher Verzögerung auch gebracht. Wir haben etwa die ganze Zeit gesagt, man müsse mehr Betriebsprüfungen durch die Finanzämter machen. Vier Wochen vor der Wahl hat sich dann Stephan Weil hingestellt und gesagt: Das ist die Lösung.
Im Programm der Linken finden sich ja durchaus mehrheitsfähige Forderungen wie Mindestlohn, Einschränkung der Leiharbeit, Abschaffung der Studiengebühren. Die Stimmen dafür bekommen aber offenbar die Anderen, die SPD scheint vom Thema Mindestlohn weitaus mehr zu profitieren …
Ja, obwohl das ja mal unsere Idee war und wir das als erste Partei im Bundestag eingebracht hatten. Müntefering hatte das damals strikt abgelehnt, das haben die Leute vergessen. Das Problem ist eigentlich, dass die Linke als junge Partei noch keine ausreichende Stammwählerschaft hat – in Nordrhein-Westfalen liegt die zwischen zwei und drei Prozent, in diesen Größenordnungen bewegt sich das. Alles andere ist das, was in einer Wahlanalyse mal als „flüchtige Wählerschaft“ bezeichnet wurde – Wähler, die sagen: Diesmal gebe ich meine Stimme der Linken. So war das auch bei der Landtagswahl vor fünf Jahren. Da hatten wir eine große Koalition in Berlin, vor deren Hintergrund es viel Enttäuschung gegenüber der SPD gab und einige die Linke gewählt haben. Das heißt aber nicht, dass wir diese Stimmen jetzt immer kriegen. Es ist auch unserer Problem, dass wir in den Milieus der Hartz-IV-Empfänger und prekär Beschäftigten nicht genug mobilisieren konnten – da sind viele aus Resignation zuhause geblieben. Es ist unsere Aufgabe, die wieder an die Wahlurne zu kriegen.
Ein Punkt, die die Linke nicht mit anderen gemeinsam hat, ist, dass Sie die Schuldenbremse ablehnen. In Zeiten, in denen das Wort „Schulden“ omnipräsent ist und allgemein als Bedrohung empfunden wird, gewissermaßen ein Recht auf Schulden einzufordern – das kam wohl nicht besonders gut an.
So haben wir’s ja nicht gesagt. Unsere Schuldenbremse ist die Millionärssteuer, also die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Es wäre ja durchaus möglich, auch ohne Schulden Haushalte auszugleichen. Die Schuldenbremse wollen wir nicht in der Verfassung stehen haben. Wenn ein Land einen nicht ausgeglichenen Haushalt hat, dann muss das vom Volk gewählte Parlament das Recht haben zu entscheiden: Ausgaben kürzen, Einnahmen steigern oder Schulden machen. Das sind die drei Möglichkeiten. Wenn das Parlament diese Entscheidung nicht mehr treffen kann, ist das für uns ein Demokratieproblem. Man muss das offen diskutieren können: Wir haben ein Haushaltsproblem, was machen wir jetzt? Gürtel enger schnallen? Sozialleistungen kürzen? Steuern erhöhen? Oder eben, wenn es die konjunkturelle Entwicklung rechtfertigt, auch mal Schulden zu machen. Es spricht sich ja keiner dafür aus, dauerhaft immer mehr Schulden zu machen.
Was die Landespolitik angeht, sind die Gestaltungsmöglichkeiten auf der Einnahmenseite allerdings ziemlich beschränkt. Die Linke forderte zum Beispiel die Rücknahme der Kürzung der Beamtengehälter in Niedersachsen oder ein öffentliches Beschäftigungsprogramm. Wie hätten Sie das finanzieren wollen?
Das liegt an der verfassungsrechtlichen Konstruktion der Bundesländer. Die Vermögenssteuer ist eine Steuer, die zu 100 Prozent den Ländern zugute kommt, aber vom Bund beschlossen wird. Das ist ein richtiges Problem: Auf der Länderebene hat man nur sehr wenige Steuern, die man beeinflussen kann. Eine wäre die Grunderwerbssteuer, die ist aber schon unter McAllister erhöht worden, da kann man nicht mehr viel machen.
Man kann aber woanders etwas tun. Wie schon der Verband der Steuerbeamten sagte: Stellt mehr Betriebsprüfer ein und kontrolliert die Unternehmen. Jeder Steuerprüfer refinanziert sich um das Zehnfache, da kommt Geld rein. Jeder Arbeitnehmer muss bei seiner Einkommenssteuererklärung alle Belege vorlegen und wird vollständig kontrolliert – und wann finden in den Betrieben Prüfungen statt? Alle fünf bis zehn Jahre. Da sind doch die großen Reserven.
An Themenfeldern, die die Linke belegen könnte, mangelt es ja nun wirklich nicht: Bankenkrise, Casinokapitalismus – lauter Steilvorlagen. Allerdings hört man dazu von der Partei eher wenig, wenn nicht gerade Gysi oder Lafontaine vor die Kameras treten; es wirkt, als könne die Partei diese Themen nicht richtig besetzen.
Naja, was die Arbeit der Landtagsfraktion angeht, kann ich sagen: Wir haben im Verhältnis zur Größe der Fraktion so viele Presseerklärungen rausgeschickt und alternative Positionen entwickelt, dass wir uns da wirklich nicht verstecken müssen. Das Problem ist eigentlich eher, dass das alles nicht so wahrgenommen wird. Man muss sich nur mal die NWZ angucken, wie die die FDP hochgeschrieben haben – die konnten sagen, was sie wollten und kriegten immer gleich Riesenartikel. Dabei waren die eine Zeitlang stimmungsmäßig genauso stark wie wir, nur wurden sie völlig anders behandelt. Wir freuen uns schon immer, wenn wir mal eine kleine Bemerkung kriegen. Zum Beispiel die Erhöhung der Strompreise, die vor allem die Ärmsten treffen wird – wir haben dieses Thema in den Mittelpunkt gestellt, es ist aber überhaupt nicht wahrgenommen worden. Anderes Beispiel: Die Firma Vion in Emstek. Die haben Arbeitnehmer entlassen und stattdessen rumänische Arbeiter mit Werkverträgen für fünf Euro pro Stunde eingestellt. Das ist ein unglaublicher Skandal. Ich habe Anzeige erstattet und eine Presseerklärung rausgegeben – das haben die nicht gebracht.
Die Linke ist im vergangenen Jahr aus den Landtagen von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein hinausgeflogen, im Saarland ist sie – wohl wegen der Person Lafontaines – noch drin, hat aber auch dort schwere Verluste erlitten. Wohin entwickelt sich die Linke – zurück zur Regionalpartei im Osten, wie die großen Medien jetzt unken?
Nein, das denke ich nicht. Die Linke wird bundesweit präsent bleiben, die Frage ist, in welcher Stärke. Die FDP und die Grünen sind auch schon aus Landtagen rausgeflogen und waren längere Zeit nicht drin, sind dann aber wieder reingekommen. Das muss man als Partei einfach durchstehen. Wir sind im Europaparlament, im Bundestag, in Kommunalparlamenten – das Durchhaltevermögen haben wir.
Ein Stimmen-Leihgeber ist ja auch eher nicht in Sicht.
Nein, Leihstimmen bekommen wir im Gegensatz zur FDP nicht. Aber ich finde, es schmückt die FDP auch nicht gerade, dass sie nur mithilfe dieser künstlichen Blutzufuhr am Leben erhalten wird.