Der totale Hund
Der Hund ist des Deutschen liebstes Kind – oder vielleicht in vielen Fällen das zweitliebste, gleich nach dem Auto. Aber Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn nicht irgendwo genau geregelt wäre, wie ein Hund auszusehen hat. “Rassestandard” lautet der wenig sympathische Begriff für die Schablone, die von Züchtern auf ihre Tiere angewendet wird. Manche Tierfreunde sehen das mit mehr als nur gemischten Gefühlen.
Die Weser-Ems-Halle am vergangenen Wochenende: Hunde in allen Größen, Farben und Formen, eine ganze Batterie Pokale, Verkaufsstände mit allerlei Zubehör bis hin zum Kitsch und Schoßtiere mit derselben Frisur wie ihr Frauchen – der “Verein der Hundefreunde von Oldenburg und Umgebung e.V.” hatte zur nationalen Rassehundeschau geladen. Im Zentrum, gewissermaßen als Laufsteg, ein umzäunter Bereich, in dem unter den kritischen Augen der Richter die vierbeinigen Freunde zum Schaulaufen antreten.
Man kann das Gebaren der Rassetierzüchter mit all den Preisen, Kategorien, Pokalen und Schönheitswettbewerben belächeln, und nicht wenige Menschen tun es auch. Anderen vergeht das Lachen, wenn sie sehen, wie Tiere auf Ausstellungen nur noch wie eine Art von Luxusaccessoire präsentiert werden; und vollends unappetitlich wird es beim Thema Überzüchtungen: Katzen mit ultrakurzen Nasen oder ohne Schwanz, Tauben mit Miniaturschnäbeln, Wellensittiche mit extremem Federwachstum. Und eben Hunde mit Augen- und Hautreizungen, Knochenschäden oder Kurzatmigkeit.
Nazihunde? Hundenazis?
Die Tierrechtsorganisation Peta, nie um eine plakative oder auch provokante Kampagne verlegen, griff zu diesem Anlass gleich wieder in die Vollen: Ein Plakat mit einem Hund, dem ein schwarzer Kamm so vor die Schnauze gehalten wird, dass er wie ein Hitlerbärtchen aussieht. Darunter das Wort “Rassenwahn” – in Frakturschrift. Man wolle die NS-Zeit damit keineswegs bagatellisieren oder trivialisieren, sagt Peta-Kampagnenleiterin Nadja Kutscher; gemeint sei der Wahn, “Hunde wegen eines bestimmten Merkmals zu züchten und zu erwerben”. Und das Plakatmotiv sei bei anderen Schauen gut angekommen, freilich nicht bei den Züchtern.
Der Erstkontakt mit dieser unbekannten Zunft verlief nicht gerade gut. Im Gespräch mit einer Züchterin fällt mir diese beim Stichwort “Hüftschaden bei Schäferhunden” sogleich ins Wort: “Woher haben sie das denn? Können Sie das belegen? Haben Sie wissenschaftliche Studien gelesen?” Es scheint, als hätten manche Züchter bereits Erfahrungen mit kritischen Fragen gemacht und nicht nur mit Organisationen wie Peta. Und überhaupt, fährt die Dame fort: Was sei überhaupt eine “Überzüchtung”? Schließlich sei in den Rassestandards des “Verbands für das Deutsche Hundewesen” (VdH) genau festgelegt, was erlaubt ist und was nicht.
Ja, die Rassestandards. Mehr als 300 gibt es; über den teutonischen Vorzeigehund schlechthin, den Deutschen Schäferhund, heißt es etwa im sogenannten FCI-Standard Nr. 166: “Stechende Augen sind nicht erwünscht, da sie den Ausdruck des Hundes beeinträchtigen.” Oder auch: “Kippohren und Hängeohren sind fehlerhaft.” Oder: “Die Kruppe soll lang und leicht abfallend (ca. 23° zur Horizontalen) sein.” Und schließlich: “Jede Abweichung von den vorgenannten Punkten sollte als Fehler angesehen werden.”
Hunde, die Rücken haben
Das klingt nicht nur ein wenig eklig, sondern geht nicht selten auch mit Leid für das Tier einher. Der herangezüchtete abfallende Rücken etwa führt bei jedem fünften Schäferhund zu einem Hüftschaden, der sogenannten Hüftdyslapsie. Das sei immerhin schon eine Verbesserung zu früheren Zeiten, sagt Ulrich Tobias, 2. Vorsitzender der Oldenburger Hundefreunde: “In den 60er-Jahren hatten 80 Prozent der Tiere kaputte Hüften”, heute seien immerhin 80 Prozent frei davon – der Schäferhund werde, wie andere Rassen auch, langsam wieder zurückgezüchtet. Das verbleibende Fünftel der Tiere dürfte das kaum trösten: Ihre Hüftdyslapsie könnte sich zu einer ausgewachsenen Coxarthrose verschlimmern, “und die führt zu schmerzhaften Zuständen”, erklärt der Oldenburger Tierarzt Dr. Andreas Biermann.
Die Hüftdyslapsie ist eine der bekannteren, aber bei weitem nicht die einzige rassetypische Krankheit. Biermann zieht ein Buch aus dem Regal, einen dicken Wälzer über Hundeerkrankungen, und schlägt eine mehrere Seiten lange Auflistung erblich bedingter Erkrankungen auf. Das “Dancing-Dobermann-Syndrom” etwa: Durch einen Schaden an der Wirbelsäule entwickeln betroffene Tiere ein unkoordiniertes Laufverhalten, sie taumeln. Heilbar ist diese Krankheit nicht.
Zwar ist nicht jede Erbkrankheit unmittelbar auf rücksichtsloses Zuchtverhalten zurückzuführen, aber letztlich seien alle heute vorhandenen Rassen, da alle Hunde vom Wolf abstammen, durch den Eingriff des Menschen entstanden. Und wer schon mal einen Mops aus nächster Nähe erlebt hat, glaubt das nicht nur aufs Wort, sondern weiß auch um dessen röchelnde Atmung. Dass es sich dabei um eine körperliche Beeinträchtigung handele, sei ein Gerücht, sagen manche Züchter. Das lautstarke Atmen des Tieres, über das der berühmte Zoologe Alfred Brehm dereinst schrieb, die Welt werde “nichts verlieren, wenn dies abscheuliche Tier den Weg alles Fleisches geht”, rühre lediglich von einem flatternden Gaumensegel her, wie beim schnarchenden Menschen. Dessen ungeachtet verweist Biermann darauf, dass Hunde mit kurzgezüchteten Nasen nicht selten Atemprobleme hätten; von geknickten Luftröhren bis hin zum Trachealkollaps. “Die Rassevielfalt ist ja grundsätzlich etwas Schönes”, sagt der Tierarzt: “Leider sind manche empfindlicher als die anderen.”
Was war zuerst da – der Züchter oder der Käufer?
Das wäre schon problematisch genug – aber warum darüber hinaus die Auswüchse dieser Vielfalt, der von Peta so bezeichnete “Wahn”? Warum immer kleinere Nasen und größere Ohren, immer kürzere Beine und längeres Fell – oder auch gar keins, wie bei Nackthunden? “Es gibt Leute, die einen ziemlich abartigen Geschmack haben”, sagt Tobias. “Und manche Menschen wollen solche Hunde”, und die Züchter – manche Züchter jedenfalls – kämen dem nach. Das sei das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Auf die Frage, ob die Züchter tatsächlich immer erst auf eine angenommene Nachfrage reagieren oder selbige durch Überzüchtungen überhaupt erst erzeugen, weiß auch er keine rechte Antwort.
Hat wirklich jemand einen Hund verlangt, der über so stark ausgeprägte Hautfalten verfügt, dass Sie ihm ins Auge hängen, wie es beim Shar-Pei manchmal der Fall ist? Aber nein, auch hier schafft der Rassestandard Klarheit: “Die gesunde Funktion der Augäpfel oder der Augenlider darf keinesfalls durch die sie umgebende Haut, die Falten oder die Haare beeinträchtigt sein. Jegliches Anzeichen von Reizung am Augapfel, an der Bindehaut oder an den Augenlidern ist höchst unerwünscht.” Ein Hund, der dennoch davon betroffen ist, hat wohl Pech gehabt. Für die Zucht ist er dann jedenfalls nicht mehr zu gebrauchen. Oder, wie eine Züchterin erklärte: “Tiere mit Erbkrankheiten sollten sich dann nicht vermehren. Wäre ja auch beim Menschen vielleicht wünschenswert.” Und vielleicht, denkt man sich in solchen Momenten, vielleicht hat Peta doch nicht so unrecht mit dem Plakat.
Immerhin: Das Kupieren der Rute bei Hunden – “Habe ohnehin nie verstanden, was das sollte”, meint Tobias – ist vor 13 Jahren verboten worden; außer bei Jagdhunden. Eine mitunter recht eigenwillige Unterscheidung, sagt Biermann: “Münsterländer und Deutsch Kurzhaar sind sehr, sehr eng verwandt – aber bei dem einem wird kupiert, weil er zur Jagd eingesetzt wird und bei dem anderen nicht.” Auch sind sogenannte Qualzuchten nach Paragraf 11b des Tierschutzgesetzes verboten. Das Problem, meint Benjamin Heyer vom Tierschutzverein Oldenburg, sei die recht vage Formulierung des Gesetzes, die viel Raum für Interpretation lasse: “Da muss man sich nur im nächsten Zoogeschäft die Goldfische mit ihren Riesenflossen anschauen, da interessiert das schon niemanden mehr.” Dennoch: Der VdH sei mit seinen Rückzüchtungen zumindest auf einem guten Weg, und Rassetierhaltung und Tierliebe schlössen sich natürlich keineswegs aus: “Wenn das Tier noch Tier sein darf und nicht von Ausstellung zu Ausstellung geschleppt wird, ist das ja auch kein Problem.” Der Stand des Tierschutzvereins in der Weser-Ems-Halle sei allerdings auch nicht gerade von Interessenten überrannt worden, räumt Heyen ein.
Tierarzt Biermann holt zu diesem Thema zwei Zeitschriften aus dem Wartezimmer hervor: Zum einen “Hundesport”, ein Blatt, in dem es in weiten Teilen um Frisbeespielen, Hundeausbildung und Agilityprüfungen geht und nur am Rande darum, zu welcher Rasse die Tiere gehören; zum anderen das Verbandsorgan des “Verbands Deutscher Kleinhundezüchter”, in dem es um kaum etwas anderes geht, mit Rubriken wie “Zuchtbuchamt” und “Deckmeldungen” und einer Auflistung von Zuchtwarten. Deutlicher kann man sich kaum vor Augen führen, welch unterschiedliche Motive Hundehalter so umtreiben. “Viele Menschen wollen sich nun mal mit etwas schmücken – bei dem einen ist es das Auto, bei dem anderen der Hund”, sagt Tobias.
Und manche sollten es vielleicht bei einem Porzellanhund belassen: Die gibt es nämlich auch in allen Größen, Formen und Farben.