Rote Fahne, braune Soße
Gute Nachricht für Badegäste am Wilhelmshavener Südstrand: Die Stadt pullert demnächst nicht mehr ganz so oft ins Wasser.
Dass Wilhelmshaven einen nach Süden weisenden Strand habe, sei „einzigartig an der deutschen Nordseeküste“, wirbt die Tourismusgesellschaft der Stadt stolz. Einzigartig dürfte auch der Umstand sein, dass unmittelbar neben der Bademeile, in Sichtweite von Strandkörben und Spielplatz, mehr oder weniger regelmäßig fäkalienhaltiges Abwasser in den Jadebusen abgelassen wird – vor allem dadurch ist der Südstrand in den vergangenen Jahren auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt geworden. Nun will die Verwaltung das Problem beheben, zumindest zum Großteil: Die Abwassereinfuhr soll durch den Bau einer Druckrohrleitung bis Jahresende um 80 Prozent reduziert werden. Mehr, so teilt die Stadt mit, sei aus Geldgründen nicht drin.
Das Problem ist bekannt, seit langem schon: Die Kapazität der städtischen Kläranlage ist begrenzt, überschüssiges Abwasser wird daher bislang ungeklärt in den Jadebusen geleitet – immer dann, wenn es viel geregnet hat, und es regnet nicht unbedingt selten in Wilhelmshaven. Das geht seit mehr als 30 Jahren so; bis zu 60-mal pro Jahr ergießt sich ein Schwall dieser Brühe aus Regen- und Abwasser an zwei Punkten ins Wasser – in manchen Monaten öfter, in anderen weniger, manchmal auch über Wochen gar nicht. Und manchmal, wie nach einem Starkregen im Sommer 2006, mitten hinein ins Badewasser vor dem Südstrand.
Daraufhin bildete sich nicht nur eine Bürgerinitiative, die „Kaiserlichen KanalarbeiterInnen“, die seither wütend gegen die Fäkalieneinleitung kämpft – auch die überregionale Presse begann sich für das Thema zu interessieren, zum Leidwesen der Tourismusbehörde der Stadt. „Schöne Grüße von der Kot d’Azur“, lästerte etwa die Süddeutsche Zeitung; ob die „Scheiße“ denn auch vorher „gequirlt“ worden sei, wollte das NDR-Satiremagazin extra3 vom Umweltdezernenten Jens Graul wissen. Die Stadt verwendet lieber den neutraleren Begriff „Mischwasser“. Ist vielleicht auch treffender: Schließlich finden sich darin nicht nur Hinterlassenschaften aus Wilhelmshavener Toiletten – auch Haushalts- und Industrieabwasser, unter anderem aus einem Krankenhaus, seien dem Gemisch beigemengt, schimpfen die Kaiserlichen KanalarbeiterInnen, die dem Fäkaleinlass sogar einen eigenen Song gewidmet haben.
Handlungsbedarf hatte die Stadt bis dahin nicht gesehen, und auch heute teilt sie auf Anfrage knapp mit: „Die Abschläge aus dem Mischwassersystem sind genehmigt und entsprechen den allgemein anerkannten Regeln der Technik.“ 2009 wurde immerhin ein Sieb installiert, das zumindest größere Objekte – „Unästhetische Grobstoffe“ – zurückhielt; irgendwann wurde auch das System der roten Fahne eingeführt: Wenn die über dem Südstrand wehte, signalisierte das keinen neuen Matrosenaufstand, sondern die nächste Mischwassereinleitung – rote Fahne gegen braune Soße, wenn man so will. Besonders groß sei sie allerdings nicht, sagt Wilhelm Schönborn von der Bürgerinitiative, außerdem „machen die um sechs Uhr Schluss“ – wer im Sommer nach der Arbeit noch eine Runde schwimmen will und um Viertel nach sechs ins Wasser steige, sehe auch keine Fahne mehr. Mit ein bisschen Glück aber vielleicht Möwen: Sobald die über dem Auslassrohr kreisen, ist man ebenfalls gut beraten, das Bad beschleunigt zu beenden.
Durch die „Aktivierung zusätzlicher Speichervolumen“ habe die Einleitung in den vergangenen Jahren bereits um bis zu 50 Prozent reduziert werden können; nun soll diese Quote mit dem Bau der neuen Druckrohrleitung, mit der ein Großteil des Abwassers zum Heppenser Siel im Stadtnorden gepumpt werden soll, auf 80 Prozent gesteigert werden, teilt die Stadt mit. „Eine 100%-Lösung“, etwa durch den Bau eines Trennsystems, sei „wirtschaftlich nicht darstellbar“. Sprich: Die Stadt Wilhelmshaven, die vielleicht reich an Niederschlag, aber arm an Haushaltsmitteln ist, hat dafür kein Geld; schon die Druckrohrleitung ist mit 18 Millionen Euro eine „sehr kostenintensive Maßnahme“. Eigentlich müsse ein zusätzliches Klärbecken her, kritisiert Schönborn – mit dem jetzigen Vorhaben werde „das Problem im Wesentlichen erstmal nur aus den Augen geschafft“.
Und dass es in Strandnähe künftig seltener zu Einleitungen kommen soll, sei auch nur ein schwacher Trost, meint Schönborn: Gerade erst habe er in einem Vortrag gehört, dass das Wasser im Jadebusen nur viermal im Jahr ausgetauscht wird, das Abwasser „schwappt also in den Prielen auf und ab“. Baden, habe der Referent gesagt, würde er lieber auf Spiekeroog.