“Letzte Zuckungen eines Körpers, der nicht sterben will”
Im zweiten Teil des Lokalteil-Interviews spricht Postwachstumsökonom Niko Paech über den Bioboom, erklärt, warum er die Energiewende für ein Desaster hält – und warum sich sein persönlicher Frustfaktor trotz allem in Grenzen hält.
Im ersten Teil des Interviews ging es um das neue Interesse der Medien an Wachstumskritik, um das individuelle CO2-Konto und darum, wie überbordender Konsum seine eigene Art von Verstopfung und Burn-out verursacht.
Auch dieses Stichwort greife ich gerne auf: „Gewissen beruhigen“. Es gibt ja durchaus den Bio-Boom, eine gestiegene Sensibilität für Tier- und Umweltschutz, die – wenn auch noch zaghaften – Schritte Richtung Energiewende. Sind das nicht hoffnungsvolle Zeichen? Oder, wie manch böse Zunge behauptet, doch bloße Akte der Gewissensberuhigung gut situierter Lehrerfamilien?
Die Energiewende in Deutschland ist eine der größten ökologischen Katastrophen, die wir bis jetzt erlebt haben. Das werde ich auf Wunsch auch gerne weiter ausführen … Zum Bio-Boom: Natürlich finde ich es positiv, wenn Leute Dinge kaufen, die aus einer ökologischeren Herstellung stammen als die konventionellen Produkte. Aber insgesamt haben wir, wenn wir mal die kulturwissenschaftliche Brille aufsetzen, ein Stadium der Selbstinszenierung erreicht, in dem die Artefakte, mit denen wir uns schmücken, nicht nur zur Herausbildung einer Identität oder Authentizität dienen, sondern auch einer moralischen Kompensation. Wir erleben dann die SUV-Fahrer, die Stammkunden im Bioladen sind oder Bionade trinkende Vielflieger. Das Leben ist eine Ansammlung unterschiedlicher und vom Sinngehalt her verbundener Baustellen, was auch eine Globalisierung unserer Lebensstile zur Konsequenz hat. Der Mensch lässt sich nicht mehr darstellen als Angehöriger eines bestimmten Milieus – er ist eher ein Konstrukt, vergleichbar mit einem Garderobenständer, an den sich viele soziale Praktiken hängen lassen. Derselbe Schlipsträger, der abends Golf spielt, ist nachmittags vielleicht Ökofreak und geht am Freitag in den Community Garden, um am Samstag nach New York zu fliegen. Es ist eine Art Sinfonie unterschiedlicher Selbstdarstellungsmöglichkeiten: Ich kaufe Bioprodukte, um moralisch zu kompensieren, dass ich ein viel zu großes Haus bewohne. Man kann aus der einzelnen Handlung eben keinen Rückschluss auf die ökologische Gesamtperformance einer Person ziehen. Diese symbolische Kompensation ist daher ein ganz wichtiger Schrittmacher der Biobranche.
Jetzt wollen wir natürlich auch wissen, warum die Energiewende die größte ökologische Katastrophe ist …
Seit wir von der Energiewende sprechen, ist Energieeinsparung kein Thema mehr. Das ist so beispielhaft, dass man in den USA schon von der „German Energiewende“ spricht, man übersetzt das gar nicht mehr. Es ist dieselbe Kompensation, nur auf politischer Ebene: Wir haben diese Energiewende deshalb ins Gespräch bringen können, weil sie unser Wohlstandsmodell gegen jede ökologisch motivierte Kritik immunisiert, aus der sich sonst die Schlussfolgerung ziehen ließe, dass wir unsere Ansprüche reduzieren müssten.
Zweitens betrifft sie ja nur Elektrizität. Was ist mit dem Kerosin für Flugzeuge, dem Sprit für Lastwagen und Autos, dem Schweröl für Schiffe? Was ist mit der Heizenergie in Häusern, der Energie in der Landwirtschaft? Was ist vor allem mit der Energie, die in den Geräten steckt, die ja nicht einmal in Deutschland produziert werden? Es ist doch ein Witz, dies alles nicht mal zu thematisieren, denn Wind, Sonne und Biogasanlagen reichen da nicht hin.
Und drittens muss man sich klarmachen, dass der Ausbau regenerativer Energien Bumerang-Effekte nach sich zieht. Rein physisch betrachtet ist regenerative Energie keine Lösung für irgendein ökologisches Problem, sondern nur dessen Umwandlung in einen anderen Systemzustand. Wir sind in Deutschland dabei, die Landschaft abzuschaffen. Jetzt hat sogar Kretschmann – ein grüner Ministerpräsident! – sich dahingehend geäußert, dass man, wenn man die Energiewende voranbringen wolle, auch den Schwarzwald näher betrachten müsse. In Niedersachsen haben wir inzwischen den Punkt erreicht, an dem wir nicht mehr in der Lage sind, den Getreidebedarf auf den eigenen Flächen zu befriedigen, ohne dass dieser Bedarf gestiegen wäre: Die Vermaisung ganzer Landstriche sorgt dafür, dass immer mehr Landwirte auf Energiemais umstellen. Hinzu kommen die Verspargelung und Verspiegelung durch Photovoltaik-Freiflächenanlagen.
Sie meinen die Zunahme der Windenergie- und Solaranlagen – ist das denn kein Hoffnungsschimmer?
Die Photovoltaik-Freiflächenanlagen schießen wie Pilze aus dem Boden, weil es für die meisten Investoren viel bequemer ist, Flächen zu kaufen oder zu pachten, als Hausdächer zu verwenden. Dazu kommt noch die Produktion der Anlagen. Und es kommen die finanziellen Rebound-Effekte hinzu: Weil mit erneuerbarer Energie neue Einkommensquellen erschlossen, neue Jobs geschaffen, neue Märkte erobert werden können, wird über dieses wirtschaftliche Wachstum neue Nachfrage entfacht. Menschen, die in grünen Branchen Geld verdienen, tun dasselbe, was jeder andere Konsument in Europa macht: Sie fahren große Autos, fliegen, wohnen im Einfamilienhaus, hängen in jedes Zimmer einen Flachbildschirm und so weiter. Ich will das gar nicht kritisieren, nur feststellen, dass das Geld, das angeblich nicht stinkt, weil es aus grünem Wachstum stammt, genauso verheerende Folgen hat wie jedes andere.
Ich möchte aber auch richtigstellen, dass ich großer Befürworter alternativer Energien bin, weil es ja keine Alternative gibt. Allerdings gibt es zwei Bedingungen: Erstens dürfen die Erneuerbaren nicht Instrument einer Wachstumspolitik, sondern in eine Postwachstumsökonomie eingebunden sein. Wenn das Bruttoinlandsprodukt wächst, wird über den Zuwachs von Einkommen und kaufkräftiger Nachfrage jede Umweltentlastung wieder zunichte gemacht. Zweitens: Weil auch regenerative Energie nicht zum ökologischen Nulltarif zu haben ist, braucht auch sie ökologische Rahmenbedingungen. Wir brauchen ein Boden- und Landschaftsmoratorium, es darf überhaupt keine Anlage mehr – egal ob Wind, Biogas oder Photovoltaik – einfach so in die unversiegelte Fläche hineingebaut werden, sondern es sind bereits okkupierte Flächen zu konvertieren oder Hausdächer zu verwenden.
Welche haben Sie im Sinn?
Ich plädiere für die Stilllegung von 50 Prozent aller deutschen Autobahnen und 75 Prozent aller Flughäfen. Das sind doch sowieso die größten Klimakiller, so könnte man doch mal zeigen, dass man es ernst meint mit Klimaschutz. Beim derzeitigen Aufkommen von Auto- und Flugverkehr kann man gar keinen Klimaschutz betreiben, das ist ja absurd.
Wenn wir diese Flächen zur Energiegewinnung hernähmen, dazu alle geeigneten Dächer für Photovoltaik und solarthermische Anlagen verwendeten, ergäbe sich jene Energiemenge, die ich als menschliches Maß bezeichnen würde. Das wäre die Menge, die wir uns, ohne über unsere Verhältnisse zu leben, ökologisch an Energie aneignen können.
Eine andere Kernforderung von Ihnen lautet: 20-Stunden-Woche für alle. Das klingt auch für Laien erstmal reizvoll, und auch konservativere Ökonomen sehen darin ja durchaus Chancen – und sei es nur als arbeitsmarktpolitisches Instrument. Allerdings müsste dazu die Wirtschaft, die Arbeitgeberseite mitspielen, und so richtig darauf zu brennen scheint sie nicht unbedingt. Wie lässt sich deren Begeisterung wecken?
Das wird nicht gelingen. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn sich entsprechende politische Mehrheiten bilden würden, wie wir es jeweils einmal in Dänemark und den Niederlanden erlebt haben, wo ja tatsächlich prägnante Arbeitszeitverkürzungen und -umverteilungen auf freiwilliger Basis möglich wurden.
Ich glaube allerdings nicht, dass es nur an der Angebotsseite liegt. Es ist einfach so, dass die deutsche Mittelschicht ihren Reichtum dadurch hat mehren können, dass man pro Familie zwei 40-Stunden-Jobs hat. Es wird ein bestimmter Lebensstil beansprucht, der gehalten werden muss, und dazu muss man soundsoviel arbeiten – das ist das Problem. Ich meine, wir haben doch zwei Möglichkeiten, die Wirtschaft in die Zange zu nehmen: Das eine ist die sanfte Verweigerung, nämlich alle Spielräume zu nutzen, um nicht mehr für 40 Stunden zur Verfügung zu stehen. Der zweite Weg besteht darin, zukünftige Krisen zu nutzen, weil manchen Firmen die Nachfrage wegbricht. Darauf zu sozialpolitisch verantwortungsbewusst reagieren hieße, die Arbeitszeit anders zu verteilen. Leider scheinen die Gewerkschaften, abgesehen von Ausnahmen, davon nicht sonderlich begeistert zu sein.
Weil es ihnen letztlich nicht um Lebenszeit, sondern mehr um Wohlstandswahrung geht?
Beispielsweise hat der emeritierte Osnabrücker Politologe Mohssen Massarrat, der auch bei Attac aktiv ist, mit einigen Kollegen gerade die 30-Stunden-Woche als Kampagne in die Diskussion eingebracht – bei vollem Lohnausgleich! Nicht mal dieses Schlaraffenland wird von den Gewerkschaften unterstützt, wenngleich ich diesen Vorschlag ebenfalls kritisch sehe.
Das Problem ist, dass man die von mir vorgeschlagene 20-Stunden-Konzeption – ohne Lohnausgleich – nur umsetzen kann, wenn Menschen bereit sind, mit Konsum anders umzugehen und sich darauf einzulassen, die freigestellten 20 Stunden darauf zu verwenden, Ersatz für Produktion zu leisten. Dies gelingt durch gemeinschaftliche Nutzung von Produkten und eine eigenständige Verlängerung ihrer Nutzungsdauer, etwa indem man sich mit Produkten umgibt, die man selbst pflegen, instand halten und gegebenenfalls auch reparieren kann. Dann ist man reich, auch wenn man weniger Geld hat, weil man die Zeit, die man hat, sinnstiftend verwendet. Das geht nicht von heute auf morgen – ich würde niemals dafür plädieren, auf Knopfdruck eine 20-Stunden-Woche einzuführen. Es ist eher ein Leitbild, das wir bestenfalls innerhalb einer Dekade umsetzen könnten, ansonsten würden wir die Gesellschaft überfordern. Und es geht um einen langfristigen Durchschnittswert. Nicht ausgeschlossen wäre, etwa in jungen Jahren voll zu arbeiten und später kürzer zu treten oder ein Jahr voll und das folgende Jahr gar nicht zu arbeiten. Da gibt es viele Kombinationsmöglichkeiten. Eine Gleichmacherei nach dem Rasenmäherprinzip würde ich ablehnen – es geht um eine Entwicklungsrichtung, nicht um eine Zahl.
Wie ist es eigentlich um die Idee der Postwachstumsökonomie in anderen Ländern bestellt? Ist anderswo die Akzeptanz höher als in Deutschland?
Es gibt eher Länder, die auf unfreiwillige Weise damit konfrontiert sind, ihre Ökonomie auf einem Konsum- und Produktionsniveau zu stabilisieren. Ob das einer Postwachstumsökonomie ähneln wird, werden wir sehen. Denken wir etwa an Kuba. Oder denken wir an Griechenland …
Oje.
Ich warne davor, das jetzt zu glorifizieren: Was in Griechenland passiert, ist ein Drama. Das kann man nicht schönreden. Andererseits wurde in Griechenland derart über die Verhältnisse gelebt – und das ist jetzt weißgott keine Häme –, dass man sich an fünf Fingern abzählen konnte, was irgendwann passieren würde. Was ich mir wirklich wünschen würde, wäre, dass die Griechen cool bleiben und sagen: Okay, wir haben verstanden, also machen wir uns jetzt einen Spaß draus, der Welt vorzuführen, wie es geht, auch in einer schrumpfenden Ökonomie klarzukommen, ohne in irgendeinen Rechtsradikalismus oder sonstigen Schwachsinn abzudriften. Griechenland könnte vorführen, wie es gelingt, unter Wahrung von Freiheit, Demokratie und Toleranz mit Knappheit umzugehen.
Bei Kuba ist es wiederum so, dass es das erste Land auf diesem Planeten ist, das „peak oil“ schon hinter sich hat – als die Sowjetunion Anfang der 90er zusammenbrach, war es ja so, dass kein Erdöl mehr geliefert werden konnte, kein Dünger und auch bestimmte Maschinen nicht. Und was die Kubaner dann im Bereich der Landwirtschaft und des urban gardening vorgeführt haben, ist beachtlich.
Ansonsten gibt es hier und da ähnliche Bewegungen: „décroissance“ in Frankreich, „transistion towns“ weltweit … das sind noch Minderheiten, aber warten wir die nächsten Krisen ab. Dann wird in mehreren europäischen Ländern die Notwendigkeit erkannt, andere Lebensstile auszuprobieren.
Das klingt ja letztlich doch irgendwie hoffnungsvoll. Nur sieht die Gegenwart so ganz anders aus: Ich habe eben in den Radionachrichten von Überlegungen gehört, nachdem der automatisierte Börsenhandel dadurch gebändigt werden soll, dass Aktien mindestens eine halbe Sekunde gehalten werden sollen, bevor sie weiterverkauft werden dürfen. Wenn man sich einerseits mit der Zukunft eines kippenden Gesellschaftskonzepts befasst und auf der anderen Seite nun sieht, dass dies die Themen sind, mit denen sich die Tagespolitik auseinandersetzt – droht man da nicht wahnsinnig zu werden?
Nö. Ich habe mittlerweile aufgehört zu glauben, dass wir noch die Kurve kriegen. Ich weiß, dass das zynisch klingt, vielleicht auch ein bisschen trivial, aber die Einschläge müssen noch näher kommen. Diese beiden Finanzkrisen von 2008 – Lehman Brothers und Subprimederivate – und jetzt das Griechenlanddesaster, das man auch nicht ganz davon trennen kann, verdeutlichen, dass zukünftig noch viel verheerendere Finanzkrisen wahrscheinlich sind, denn aus diesen Ereignissen haben wir ja nichts gelernt, sondern wurschteln einfach weiter.
Und dasselbe gilt auch für Ressourcenknappheit. Was die Amerikaner mit dem Fracking machen, ist nur ein kleiner Aufschub – und ein ökologischer Wahnsinn, der das Problem nicht lösen wird. Es geht ja nicht nur um Öl-, sondern auch um die bereits genannte Flächenknappheit und Phosphor; es geht um Coltan, Palladium, Neodym. Wir haben uns durch die digitale Revolution so abhängig gemacht von seltenen Erden, dass die Sollbruchstellen unseres Wohlstands immer offenkundiger werden. Und deswegen frustriert mich das eigentlich nicht, Nachrichten zu hören, in denen so getan wird, als könne man mit minimalen Reparaturmaßnahmen ein zum Scheitern verurteiltes Modell doch noch retten. Das sind die letzten Zuckungen eines Körpers, der nicht sterben will; solche Sachen wie ein Jade-Weser-Port, eine Küstenautobahn oder hier in Oldenburg IKEA, ein Einkaufszentrum und so weiter – das sind Amokläufe einer angstgetriebenen Politik, die verzweifelt an einem Modell festhält, das schon nach Verwesung riecht.
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Von Niko Paech ist zuletzt das Buch “Befreiung vom Uberfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie” im Oekom-Verlag (Munchen 2012) erschienen.