Hit & Run
Manchmal spielen Leute, die Baseballcaps tragen, tatsächlich auch Baseball. Etwa die Oldenburg Hornets. Allerdings stechen die Hornissen derzeit nicht allzu oft.
Hat der Runner der Hornets nun die erste Base berührt oder nicht? Der Schiedsrichter glaubt: Nein. Und schickt ihn vom Feld. Ein Zuschauer klärt den Unparteiischen freundlich auf, dass das normalerweise ja anders gehandhabt würde. Später, als erneut eine unklare Situation eintritt, fragt der Umpire, wie der Schiri beim Baseball heißt, gleich jenen Zuschauer um Rat. Es ist eine entspannte Atmosphäre, hier, in der untersten Spielklasse des deutschen Baseballs – der Bezirksliga, Staffel Niedersachsen-West. Die Graswurzelebene eines Sports, dessen hervorstechendes Utensil, der Schläger, höhere Prominenz als Waffe denn als Sportinstrument genießt.
Nur eine Handvoll Fans findet sich an diesem Sonntag zu den beiden Begegnungen der Oldenburg Hornets und der Löningen Tigers ein; das Verhältnis von Spielern zu Zuschauern beträgt etwa vier zu eins und die meisten scheinen ohnehin zum Umfeld der Teams zu gehören. Dass man gleich zweimal am selben Tag gegeneinander antritt, ist nicht unüblich – es erspart Fahrerei und Spritgeld, und Baseball ist ohnehin schon ein recht teures Hobby. Während die Tigers in quietschgelben fußballkreisligatauglichen Standardvereinsleibchen auflaufen, sind die Hornets mit mehr Stil bei der Sache: Sie – oder vielmehr: die meisten von ihnen, auch bei der Kleiderordnung wird es nicht allzu eng gesehen – tragen eigens angefertigte Trikots im klassischen US-Outfit, inklusive verschnörkeltem „Hornets“-Schriftzug. „Wir gelten immerhin als bestangezogenes Team der Staffel“, sagt Matthias Paschke, der mal als Catcher, mal als Pitcher und mal als Baseman auf dem Feld steht und zugleich als Teamsprecher fungiert.
Als bestangezogenes vielleicht, nicht jedoch als erfolgreichstes. Die Hornets kämpfen im Wesentlichen um die Ehre – bislang haben sie jedes einzelne Spiel der Saison verloren. Nur eines wurde ihnen kampflos zugesprochen, da der Gegner zu kurzfristig abgesagt hatte, „aber das zählt nicht“, sagt Paschke. Seit Jahren belegt das Team verlässlich einen der letzten Plätze der momentan fünf Mannschaften umfassenden Staffel, hinter Mannschaften mit Namen wie den Barrien Greenbears oder den Osnabrück Basebusters. Ob er sich oft Charlie-Brown-Witze anhören muss, in Anlehnung an den bemitleidenswerten Kapitän, dessen Mannschaft nie gewinnt und der dauert vom brettharten Ball aus den Klamotten gehauen wird? Vor kurzem habe er tatsächlich ein paar Peanuts-Bände geschenkt bekommen, sagt Paschke; vorher habe er die kaum gekannt. Er fand’s lustig.
Auch an diesem Tag geht das erste Match gegen die Tigers knapp verloren, 14:15 heißt es am Ende, und das ist immer noch besser als 1:17 oder 2:22, wie in dieser Saison auch schon mal Spiele endeten. „Natürlich ist das frustrierend“, sagt Paschke, zumal es vor ein paar Jahren noch besser ausgesehen hatte – da hatte man ein eingespielteres Team und erfahrenere Spieler, man hätte sogar einmal aufsteigen können, aber irgendwas war bei den Meldefristen schiefgelaufen. Eine hohe Fluktuation innerhalb des Teams tut sein Übriges: Viele versuchen es nur mal spaßeshalber und steigen wieder aus, andere müssen arbeitsbedingt wegziehen oder haben ihr Studium irgendwann abgeschlossen und verschwinden. Dabei brauche man laut Paschke schon mindestens zwei bis drei Jahre, um sich in dieses Spiel hineinzufinden.
Dennoch gibt es die Hornets nun schon seit immerhin 20 Jahren – damals, in den 90ern, hatte es so etwas wie einen kurzzeitigen, aber schnell versandeten Baseball-Boom gegeben, von dem indes schon damals nur Wenige Notiz nahmen. Die an einen hiesigen Sportverein angegliederten Hornets werden als Männerteam geführt, aber zur Mannschaft zählten auch Frauen. Es gebe keine Vorschrift in den Verbandsregeln, die das ausschließe, erklärt Paschke – zwar spielten die meisten Frauen eher Softball, diese etwas schubreduzierte Form des Sports, aber manche haben eben mehr Lust auf richtiges Baseball. Und wo wären gemischte Teams besser denkbar als hier, bei diesem vollkommen zweikampffreien Sport, dessen einziger Körperkontakt darin besteht, dass ein Baseman einen gegnerischen Runner mit dem Ball berührt. Manchmal rasseln beide auch unsanft zusammen, soll nicht so sein, passiert aber. Das liege zumeist an der mangelnden Erfahrung der Spieler, sagt Paschke – etwa wenn man als Baseman falsch steht. Man lernt es mit der Zeit und steigender Erfahrung, aber eben daran hapert es ja gerade.
Dabei gilt Baseball – auch wenn der Sprint zur nächsten Base Kraft, das Schlagen Geschicklichkeit und das Verinnerlichen des überaus komplizierten Regelwerks viel Zeit erfordern – als ein Sport der eher gemächlicheren Gangart, manchmal auch der langatmigen. So sehr, dass er selbst in der wohl amerikanischsten aller TV-Serien, den Simpsons, einmal als so unerträglich langweilig dargestellt wurde, dass die sabbernden Außerirdischen Kang und Kodos ihren Zeitrafferstrahl auf das Spielfeld richten und ihn so weit überdrehen, dass sie damit versehentlich die Existenz an sich auslöschen.
Tatsächlich bekommt die Formulierung „den Sonntag am Sportplatz verbringen“ beim Baseball mitunter eine buchstäbliche Note. Um 11 Uhr haben die Mannschaften auf dem Platz hinter einer Oldenburger Schule begonnen, und sechs Stunden später ist gerade die Hälfte des zweiten Matches herumgebracht, und das, obwohl nur je fünf Innings – Spielrunden – angesetzt waren statt der sonst üblichen sieben. Im Baseball wird solange gespielt, bis ein Sieger feststeht; vor ein paar Wochen wurde ein Spiel in der US-Profiliga erst im 19. Inning entschieden. „Dauert aber auch nicht immer so lange“, sagt Paschke. Manche Zuschauer sind zwischendurch wieder gegangen, andere später gekommen; eine Familie verbindet ihren Besuch mit einem kleinen Picknick.
Eine Imbissbude oder einen Getränkeausschank gibt es nicht, dafür haben die Hornets nicht genug Helfer. Und ohne solche Angebote sei es schwer, Zuschauer zu bekommen, und ohne Zuschauer bleibt die Bekanntheit gering, und ohne hohen Bekanntheitsgrad lassen sich nur schwer Spieler rekrutieren und Sponsoren gewinnen … ein Teufelskreis, der es erschwere, ein Team aufzubauen und zumindest einmal über ein paar Jahre zusammenzuhalten, sagt Paschke; und der ausbleibende Erfolg mache die Sache für Neulinge auch nicht eben attraktiver.
Dennoch blickt er einigermaßen optimistisch in die Zukunft: Immerhin haben es die Hornets geschafft, ein eigenes Jugendteam auf die Beine zu stellen. Die spielen sogar im Winter, in der Halle dann; und vielleicht sorgt der Nachwuchs mittelfristig auch für ein bisschen mehr personelle Kontinuität beim Bezirksligateam. Wo und gegen wen auch immer diese dann wird spielen müssen – die Liga steht mal wieder vor einer Umstrukturierung, denn nicht nur Spieler, sondern mitunter auch ganze Teams ziehen sich aus dem Spielbetrieb zurück, wenn sie es personell nicht mehr hinbekommen. Vermutlich wird die Liga im kommenden Jahr auf nur zwei Staffeln reduziert. Das bedeutet dann noch mehr Fahrerei.
Irgendwann am späten Sonntagnachmittag ist auch die zweite Partie gegen die Tigers und damit auch die Saison 2012 vorbei – und die endet für die Oldenburger doch noch mit einem Erfolgserlebnis: Die Hornets gewinnen mit 17:12, inklusive zwei Homeruns. Ein Sieg, endlich, auch wenn der Gegner verletzungsbedingt nicht mehr vollzählig war und auch wenn das Ergebnis nichts an der Platzierung am Tabellenende ändert. Ein Nachholspiel gibt es noch, am Wahlsonntagnachmittag gegen die Cornau Buffaloes, allerdings geht das nicht mehr in die Wertung ein.
Aber vielleicht, so die stille Hoffnung, läuft es in der kommenden Saison ja besser. Auch wenn schon jetzt klar ist, dass wieder einige das Team verlassen werden. Dass es wieder schwer werden und es wohl auch 2014 keine Würstchen am Spielfeldrand geben wird. Aber den Titel des bestangezogenen Teams, den nimmt den Hornets so schnell niemand.